Hot Summer
bemerkenswert zu sein. Ich mischte mich unter die Gäste und traf Leute wieder, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Freunde der Familie machten mir Komplimente, bewunderten das Haus und gratulierten mir zu der gelungenen Party. Die meisten bemerkten, wie groß ich geworden sei und dass sie sich an mich erinnerten, als ich „so klein“ war. Für sie war ich immer „das stille, kleine Mädchen mit dem Buch in der Hand“ gewesen.
„Du hattest immer ein Buch vor der Nase. Was hast du da nur immer gelesen?“, fragte Bud Nelson. Ich hatte ihn als kräftigen, rotgesichtigen Mann mit einem lauten Lachen in Erinnerung, der immer einen Vierteldollar in der Tasche hatte für ein Mädchen, das schnell lief und ihm „noch ein kaltes Getränk“ holte. Er war kränklich und dünn geworden, mit dürren Armen und Beinen, die aus seinen Bermudashorts herausstakten. Die Shorts wirkten zu groß an ihm. Seine Haut hing schlaff herunter, als schmelze sie dahin. Seine Augen und Zähne waren gelb.
„Vermutlich Nancy Drew.“ Ich lächelte. Die ganze Zeit lächelte ich.
„Ah, die kleine Detektivin“, spöttelte Bud. „Diese Nancy ist immer in irgendwelche Schwierigkeiten geraten, stimmt’s? Immer musste ihr Vater sie wieder raushauen.“
Das waren nicht die Geschichten, an die ich mich erinnerte, aber ich verzichtete auf eine Diskussion. „Es waren ja nur Geschichten.“
Bud lachte und griff in seine Hosentasche. „Hey, Annie. Wie wär’s mit einem Vierteldollar? Hol mir einfach noch ein …“
„Noch ein kaltes Getränk?“, unterbrach ich ihn.
Er nickte und lehnte sich in dem Stuhl zurück, als wäre es für ihn eine große Anstrengung gewesen, nach dem Geldstück zu fischen. Der Vierteldollar glänzte in seiner Hand. Ich schloss seine Finger über der Münze.
„Du brauchst mir keinen Vierteldollar zu geben, Bud.“
„Du bist ein gutes Mädchen, Annie. Bist du immer gewesen.“
„Das sagt man jedenfalls über mich.“
Er war freundlich, und da war er nicht der Einzige. An diesem Tag hörte ich es immer wieder. Annie, du warst so ein gutes Mädchen. Ein stilles Mädchen. Annie, hol mir noch was Kaltes zu trinken. Annie. Annie. Annie.
Ich war seit Jahren nur für meinen Dad Annie gewesen, und plötzlich war ich wieder das kleine Mädchen. Ich holte was Kaltes zu trinken. Lächelte. Sie tätschelten im übertragenen Sinne meinen Kopf, statt es im wahrsten Wortsinn zu tun, aber es fühlte sich genauso an.
Die Party war in vollem Gange. Die Gäste begannen, auf der Terrasse und dem Rasen zu tanzen. Das Essen wurde zunehmend dezimiert, als wäre ein Heuschreckenschwarm darüber hinweggefegt. Inzwischen war es drückend heiß, und die Schwüle kündigte mit den Wolken, die über das Wasser dahinzogen, ein drohendes Gewitter an.
Ich ging ins Haus, um ein bisschen kühle Luft zu spüren und mir ein Glas eisgekühltes Wasser zu holen. Nur ein paar Augenblicke wollte ich mit mir allein sein. Patricia, die in den letzten Wochen am Rande eines Nervenzusammenbruchs gewesen war, wenn es um die Party ging, strahlte an diesem Tag von einem Ohr zum anderen. Sie lachte viel. Auf der anderen Seite war ich kurz davor, zusammenzubrechen.
Es war nicht bloß die Party. Der ganze Sommer hatte mich niedergedrückt. Es war Evelyn. Es waren auch Alex und James. Es war die Tatsache, dass ich alles wieder in Ordnung bringen sollte. Ich ersehnte die Stille meines Schlafzimmers und freute mich auf ein paar Minuten Ruhe. Zeit, um Atem zu schöpfen und nicht zu reden oder zu lächeln. Alles, was ich wollte, war eine Minute. Nur eine. Ganz für mich.
Das Haus war ebenso überfüllt wie der Garten. Doch es war hier drinnen lauter. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Küche und durch den Flur. Im Stillen hoffte ich, dass niemand meinen Raum erobert hatte. Ich hatte die Tür vor der Party geschlossen, doch die anderen offen stehen lassen. Die meisten Leute hätten verstanden, was das bedeutete. Eine geschlossene Tür bedeutete Privatsphäre. Bleibt draußen. Die meisten Leute, die in ein fremdes Haus kamen, verstanden diese Grenze.
Dieser Teil des Hauses war kaum ruhiger. Die meisten Gäste hatten sich auf das Wohnzimmer und die Küche verteilt. Eine meiner Cousinen saß in dem ruhigen und sauberen Gästezimmer und stillte ihr Baby. Wir lächelten einander an und sagten nichts. Ich schloss die Tür bis auf einen Spalt, damit sie ihre Ruhe hatte. Die Badezimmertür war geschlossen und öffnete sich, als ich vorbeiging. Lachend
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