Hotel der Sehnsucht
hatte.
Ein Anfang war gemacht, und alles andere würde sich finden.
Guter Dinge ging er ums Auto und zur Eingangstür. „Lass uns hineingehen", forderte er Samantha auf und zog den Schlüssel aus der Tasche.
Doch Samantha zeigte nicht die geringste Regung. Ohne sagen zu können, warum, lähmte die Aussicht sie, das Haus betreten zu müssen. Wie angewurzelt hielt sie sich unverändert an der Beifahrertür fest und beobachtete aus der Entfernung Andre, der die Haustür aufschloss und öffnete.
Doch statt Samantha erneut aufzufordern, ihm zu folgen, drehte er sich zu ihr um und stand ebenso reglos da wie sie selbst. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er nicht Gefahr lief, die Fassung zu verlieren.
Anders Samantha. Als machte ihr die Angst vor dem Haus nicht bereits genug zu
schaffen, drohte sie jetzt der Anblick des Inhabers endgültig in Panik zu versetzen.
Andre war groß, stark und unverschämt attraktiv, und die Heftigkeit der Gefühle, die sie in diesem Moment für ihn empfand, wurde nur von den Zweifeln übertroffen, die sie daran hatte, dass er auch nur annähernd dasselbe für sie empfand.
„Warum hast du mich geheiratet?" fragte sie so leise, dass Andre es möglicherweise gar nicht gehört hatte.
Sein veränderter Gesichtsausdruck belehrte sie eines Besseren. Mit versteinerter Miene sah er sie an. „Welche Gründe mögen einen Mann bewegen, eine bildschöne Frau zu heiraten?"
Normalerweise hätte sich Samantha über das Kompliment sicherlich gefreut. Doch dafür beschäftigte sie etwas anderes viel zu sehr. Irgendetwas an Andres Stimme hatte sie aufhorchen lassen. Fast war es, als hätte sie eine Warnung erhalten - allerdings ohne auch nur im Entferntesten sagen zu können, wovor.
Ein Knirschen auf dem Kies riss Samantha aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und sah Andre direkt ins Gesicht. Langsam und mit ernster Miene kam er auf sie zu. Als er vor ihr stand, griff er mit einer Hand nach der Autotür, während er die andere auf das Wagendach legte.
Samantha saß in der Falle, und was immer Andre vorhaben mochte, sie war ihm hilflos ausgeliefert.
„Falls deine Frage darauf abzielte, ob ich es bereue, so lautet meine Antwort eindeutig Nein", erklärte er bestimmt. „Und solltest du noch einmal auf die Idee kommen wegzulaufen, würde ich nicht eher Ruhe geben, bis ich dich gefunden hätte."
Samantha hatte das ungute Gefühl, dass sie sich im Kreis drehten. Ganz gleich, worüber sie sich unterhielten - alles schien auf die eine Frage hinauszulaufen, die sie beschäftigte, seit sich Andre zu erkennen gegeben hatte. „Warum hast du dir dann so viel Zeit damit
gelassen, als ich das erste Mal davongelaufen bin?"
Andres Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, von dem sich nicht genau sagen ließ, ob es spöttisch war, ironisch oder doch sarkastisch. Nur eines war es garantiert nicht: freundlich.
„So viel Zeit, wie du denkst, habe ich mir gar nicht gelassen, mia cara. Schließlich hast du nicht vor mir Reißaus genommen, sondern vor dir selbst."
Schon wollte Samantha ihm die passende Antwort geben, als sie spürte, dass ihr Herz schneller zu schlagen begann. Für Bruchteile von Sekunden glaubte sie, hinter den Vorhang sehen zu können, der sie von ihrer Vergangenheit trennte. Atemlos erwartete sie den Moment, in dem sich alles klären und jede Frage eine Antwort finden würde.
Doch ebenso unvermittelt, wie er sich gehoben hatte, senkte sich der Vorhang wieder, ohne dass Samantha mehr gewusst hatte als zuvor. Mit einer entscheidenden Ausnahme, wie ihr schlagartig klar wurde, als sie Andre etwas erwidern wollte und sich ihre Blicke begegneten.
Andre hatte Recht, sagte ihr dieser Blick, und Samantha ahnte nicht nur, sie wusste nun, dass sie feige davongelaufen war, statt dem, was sie ängstigte, offen ins Gesicht zu sehen.
Umso dringender sollte sie wohl damit aufhören, Andre Vorhaltungen zu machen, und lieber der Frage nachgehen, welche Rolle sie selbst in der Angelegenheit spielte. Auch auf die Gefahr hin, dass die Wahrheit schmerzhafter werden konnte als alles, was sie bislang erlebt hatte.
„Habe ich dich denn nicht geliebt?"
Andre runzelte die Stirn. „Das schon ..." beeilte er sich zu sagen. Doch schien es eine Einschränkung zu geben, die er ihr vorenthielt.
„Ich habe dir sehr wehgetan, nicht wahr?" äußerte Samantha ihren Verdacht. „Gestern hast du jedenfalls entsprechende Andeutungen gemacht."
Und damit genau das erreicht, was ich unbedingt hatte vermeiden wollen,
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