Hotel der Sehnsucht
Samantha ihn doch wenigstens angeschrien hätte! Doch nicht einmal dazu konnte sie sich aufraffen, so sehr stand sie unter Schock.
Dabei hatte er sich so fest vorgenommen, es nicht mehr dazu kommen zu lassen, und alles, was er zu seiner Entschuldigung hätte vorbringen können, musste er für sich behalten.
Bis zu jenem fernen Tag jedenfalls, an dem er nicht mehr gezwungen wäre, Samantha mit allen Mitteln davor zu bewahren, bestimmten Fragen allzu intensiv nachzugehen.
„Ich kenne diesen Andre genau." Unvermittelt hatte Samantha die Sprache wieder gefunden. „Er ist ein Widerling, wie er im Buche steht."
Sie hatte völlig Recht. Genau das war er. Und das hatte er sich ganz allein selbst zuzuschreiben. „Der Widerling wird sich nach etwas Essbarem umsehen", erwiderte er sarkastisch. „Wenn du dich angezogen hast, kannst du ja nachkommen."
Noch während er das sagte, wandte er sich um und verließ fluchtartig das Schlafzimmer.
Jetzt, da Samantha den Schock überwunden hatte, war nicht auszuschließen, dass sie nicht nur mit Beschimpfungen, sondern auch mit Gegenständen um sich warf.
10. KAPITEL
Samantha dachte gar nicht daran, Andre nachzugehen. Dafür war sie viel zu wütend auf ihn.
Und auf sich selbst. Denn es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie sich die Enttäuschung und Demütigung selbst eingebrockt hatte. Zwar hatte Andre den ersten Schritt getan. Doch wenn sie gewollt hätte, wäre das zugleich auch der letzte gewesen. Stattdessen hatte sie seinen Kuss nicht nur erwidert, sondern jegliche Zurückhaltung über Bord geworfen, um Andre dazu zu bringen, sie mit ähnlicher Leidenschaft in Besitz zu nehmen wie vor wenigen Stunden.
„Unersättlich" hatte er sie genannt, und sicherlich hatte er einzig mit Rücksicht auf sie einen vergleichsweise milden Ausdruck gewählt - selbst wenn der möglicherweise ein wenig beschönigte, was sie wirklich war.
Den Tränen nah, ließ Samantha sich aufs Bett zurücksinken, schlüpfte unter die weiche Decke und schloss die Augen. Die edle Seide schmeichelte ihrer Haut, und ganz allmählich beruhigte sie sich wieder.
Als sie erwachte, war es bereits dunkel. Verschlafen tastete sie nach dem Lichtschalter.
Dann stieg sie aus dem Bett und ging ins Bad, um ausgiebig zu duschen. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, betrat sie den Ankleideraum und wählte ein smaragdgrünes Kleid aus feinster japanischer Seide. Den Gürtel band sie sich um, während sie, den Blick und die Aufmerksamkeit auf die Hände gerichtet, zurück ins Schlafzimmer ging. Andre1 war auf Reisen und Raoul in die Stadt gefahren. Was bedeutete, dass sie in Ruhe...
Wo der Koffer wohl herkam? dachte sie noch, als ein Geräusch sie herumfahren ließ. „Es freut mich, dass du dich so gut zurechtfindest", hörte sie Andre noch sagen, bevor ihr schwarz vor Augen wurde und sie auf den weichen Teppich sank.
Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich in einem fremden Bett wieder, das in einem ihr fremden Zimmer stand, und trug ein grünes Seidenkleid, das unmöglich ihr gehören konnte.
Zu allem Überfluss blickte sie direkt ins Gesicht eines Mannes, den sie noch nie gesehen hatte.
„Hallo", begrüßte er sie freundlich lächelnd, als er merkte, dass Samantha die Augen aufgeschlagen hatte.
„Wo bin ich?" erkundigte sich Samantha benommen. „Und wer sind Sie?"
„Ich heiße Jonathan Miles und bin Arzt", stellte sich der Fremde vor. „Lieber wäre es mir allerdings, Sie würden mich einfach Jack nennen - wie alle meine Freunde."
Erst jetzt bemerkte Samantha seine Finger auf ihrem Handgelenk, die offensichtlich ihren Puls fühlten.
„Was ist passiert?" fragte sie, als Jack eine kleine Taschenlampe hervorzog und ihr in die Augen leuchtete.
„Sie haben einen Schwächeanfall erlitten", erklärte er ihr. „Andre hat sich Sorgen gemacht und mich angerufen."
Andre. Sosehr sich alles in ihr gegen diesen Namen sträubte, trug seine Erwähnung doch dazu bei, dass sich der Nebel allmählich zu lichten begann.
„Wissen Sie, wo wir sind?" fragte Jack.
Samantha nickte missmutig.
„Dann schildern Sie mir doch bitte, was passiert ist."
„Ich muss eingeschlafen sein", antwortete Samantha. „Als ich aufwachte, konnte ich mich plötzlich wieder an alles erinnern. Bis ... bis mir auf einmal schwarz vor Augen geworden ist."
Der Arzt sah sie fragend an. Samanthas kurze Unsicherheit schien ihm nicht entgangen zu sein. Allerdings schien er keine plausible Erklärung zu haben. „Können Sie sich
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