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Hotel der Sehnsucht

Hotel der Sehnsucht

Titel: Hotel der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Reid
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Samantha sich zusammen und steckte den Schlüssel ins Schloss, das sich leicht und ohne jeden Widerstand öffnen ließ.
    Gleichmäßig auf kleine Schubladen und Fächer verteilt, sortiert und gebündelt, lag ein ganzes Leben vor Samantha. Ihr Leben.
    Ängstlich und gespannt zugleich, wagte sie endlich, einzelne Briefe, Postkarten und Fotos hervorzuziehen und genauer zu betrachten. Mit jedem Stück, das sie in die Hand nahm, entfaltete sich vor ihr ein Kaleidoskop von Freud und Leid, Höhen und Tiefen, Glück und Elend.
    Das Bressingham, ihr Vater, Raoul, erneut das Bressingham -wie in einem Kaleidoskop zogen in raschem Wechsel Bilder und Szenen aus ihrem Leben an ihr vorbei. Sah sie sich eben noch bei ihrer Hochzeit in einem weißen Brautkleid und strahlend vor Glück, zeigte sie das nächste Foto ganz in Schwarz und in tiefer Trauer auf der Beerdigung ihres Vaters. Das einst prächtige Foyer eines Hotels^ das in Schutt und Asche lag. Andre', der mürrisch in die Kamera blickte, gefolgt von einem fröhlich lachenden Raoul. Eng beschriebene Blätter, die Samantha durch den feuchten Schleier in ihren Augen kaum entziffern konnte.
    „Warum hast du mich nur so hintergangen?" fragte sie kraftlos.
    „Glaub mir doch, Samantha, ich habe dich nicht hintergangen", wies Andre den Vorwurf energisch zurück.
    „Wo ist Raoul?"
    „In Australien." Andre schien mit der Frage gerechnet zu haben. „Seit zwölf Monaten schon."
    Ein anderer Gedanke beschäftigte Samantha viel zu sehr, um der Tatsache, dass Raoul zeitgleich mit ihr selbst verschwunden war, auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.
    „Er hat versucht, mich zu vergewaltigen, hier, in diesem Haus." Es kostete sie schier unmenschliche Überwindung, auszusprechen, was sie bewegte. „Und du hast ihn ungeschoren davonkommen lassen."
    Dass Andre eine Antwort schuldig blieb, überraschte sie nicht im Geringsten. Als er am Vormittag über die Liebe zu seiner Mutter gesprochen hatte, ohne den Satz zu beenden, hatte er keineswegs an seinen Stiefvater gedacht, wie sie zunächst angenommen hatte. Die Liebeserklärung sollte niemand anderem gelten als seinem Bruder Raoul. Genauer seinem Halbbruder.
    Raoul, der Kleine, wie sie ihn immer genannt hatten, weil er deutlich jünger war als Andre. Doch wollte der Kosename so gar nicht zu jemandem passen, der von Grund auf schlecht und gerissen bis zur Falschheit war. Andre mochte ein knallharter Geschäftsmann sein, aber im Vergleich zu seinem Bruder war er harmlos. Der ging über Leichen.
    Obwohl es Samantha immer schwerer fiel, gegen die Tränen anzukämpfen, streckte sie die Hand aus und zog mit bebenden Fingern einen Stapel Papiere aus dem Sekretär.
    Seit sie das Schwimmbad verlassen hatten, hatte sie es vermieden, Andre anzusehen. Weil dies der denkbar falsche Moment war, daran etwas zu ändern, senkte sie den Blick, bevor sie es wagte, sich zu Andre umzudrehen, um ihm die Papiere zu reichen.
    „Ich glaube, die gehören dir", sagte sie kalt. „Raoul hat sie mir gegeben."
    Mit Bangen sah sie die Hände, die ihr die Unterlagen abnahmen und damit begannen, sie durchzublättern. Akribisch aufgelistet, enthielten sie jeden der Schritte, die schließlich dazu geführt hatten, dass Andre der neue Besitzer des Bressingham-Hotels wurde. Und zwar am selben Tag, an dem er mit Samantha Bressingham getraut worden war.
    „Keine schlechte Mitgift, wenn man's richtig bedenkt", kommentierte Samantha und versuchte all ihre Bitterkeit in ihr Lächeln zu legen. „Bist du je so billig an ein Hotel gekommen?"
    „Du solltest dir deine Bemerkungen sparen, bis du die ganze Wahrheit kennst", erwiderte Andre verbittert.
    „Um ehrlich zu sein, ist die halbe Wahrheit schon kaum zu ertragen." Mit diesen Worten wandte sich Samantha um und ließ Andre einfach stehen. Ohne ihn eines Blickes zu
    würdigen, verließ sie das Wohnzimmer, durchquerte die Halle und ging die Treppe ins Obergeschoss hinauf.
    Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer blieb sie kurz an der verschlossenen Tür stehen. Das letzte Mal hatte sie das Zimmer betreten, um Raoul zur Rede zu stellen. Damals hatte sie sich geschworen, nie wieder einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Und dabei sollte es bleiben.
    In ihrem Zimmer angekommen, schloss sie die Tür hinter sich ab. Einen Moment blieb sie unentschlossen vor dem Bett stehen. In ihrem Innern brodelte es nach wie vor, und sie bebte am ganzen Körper; Ihr einziger Wunsch war, sich ins Bett sinken zu lassen und die Augen zu

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