Hotel Mama vorübergehend geschlossen
seines Enkels: »Hallo, hier ist Tim, seid ihr noch da? Ich will die Oma nämlich eine Frage fragen …«
Die Oma hörte nicht mehr. Sie war noch mal schnell in ihr Zimmer gelaufen und hatte den Schuhkartondeckel geholt, den sie vorhin mit einem dicken schwarzen Filzstift beschriftet hatte. Und als Florian endlich die Haustür hinter sich zugeschlagen und zweimal abgeschlossen hatte, löste Tinchen die Schutzfolie von dem doppelseitigen Klebeband und preßte das Pappschild mitten auf die Tür. Darauf war zu lesen:
Hotel Mama
vorübergehend geschlossen!
9.
»Guck mal, Flori, da unten ist schon das Meer!« Aufgeregt preßte Tinchen ihre Stirn an die Fensterscheibe. »Kannst du es sehen?«
»Mhmh«, grunzte es neben ihr, wo Florian vor sich hindöste und nur gelegentlich einen Blick auf die nylonbestrumpften Beine der vorbeieilenden Stewardessen warf.
»Du siehst ja gar nicht hin«, bemerkte Tinchen ganz richtig, »nun guck doch endlich mal!«
»Warum denn? Das Meer sieht noch genauso aus wie vor einer Stunde, so lange fliegen wir nämlich schon drüber.«
»Kann gar nicht stimmen, das hätte ich doch gemerkt!«
»Möglich, aber dazu hättest du erst mal aufwachen müssen«, knurrte er ärgerlich, denn im Gegensatz zu Tinchen, die auf ihrem Fensterplatz wenigstens den Kopf an die Scheibe legen und sich sogar ein bißchen auf die Seite drehen konnte, hatte Florian nicht mal gewußt wo er seine langen Beine hintun sollte. Nachdem er zweimal den Servicewagen ans Schienbein gekriegt hatte und dann auch noch ein Passagier über seine Füße gestolpert war, hatte er nicht mehr gewagt, die Beine auch nur andeutungsweise in den Gang ragen zu lassen. Vielmehr war er ab und zu aufgestanden, hatte ein paar Schritte gemacht und jedesmal sein Tinchen beneidet, das seelenruhig schlief.
»Ich habe nicht geschlafen«, behauptete es denn auch sofort, »höchstens mal ein bißchen gedöst.« Plötzlich wurde es ganz aufgeregt. »Guck mal ganz schnell raus, da unten ist Land. Ob das schon Jamaika ist?«
Es war nicht Jamaika, wie der ohnehin sehr auskunftsfreudige Flugkapitän via Lautsprecher verkündete, sondern die Dominikanische Republik, an die sich Haiti anschloß.
»Ach, das ist also Haiti«, sagte die hinter Florian sitzende Dame, die die bei Flugreisen zu tropischen Ferienzielen übliche Metamorphose schon hinter sich und Cordhosen nebst Pullover gegen eidottergelbe Shorts sowie ein gleichfarbiges Oberteil eingetauscht hatte. »Jetzt wissen wir doch wenigstens, wo die Kinder ihre Flitterwochen verbracht haben, nicht wahr, Herbert?«
»Das ist auf Hawaii gewesen, Gundula, nicht auf Haiti«, berichtigte Herbert. »Haiti ist ein Entwicklungsland.«
»Ach ja?« wunderte sich seine Gattin, »warum denn? Es könnte doch auch den Fremdenverkehr entwickeln, genau wie seine Nachbarn, denn da geht ja inzwischen der Bär ab! Oder weißt du nicht mehr, was Mühlmanns Michael erzählt hat? Der hat doch mit einem Freund zusammen gleich drei Mädchen auf einmal …«
Zu seinem Bedauern erfuhr Florian nicht mehr, was Mühlmanns Michael getan hatte, denn Herbert hatte seiner Frau kurzerhand die rote Baseballkappe mit der Mickymaus vorne drauf übers Gesicht gezogen. Gleich darauf wurden die Passagiere auch schon gebeten, ihre Plätze einzunehmen und sich anzuschnallen, da man nunmehr mit dem Landeanflug beginnen werde.
»Ich hab gar keine Zeit mehr zum Umziehen gehabt«, moserte Tinchen, während sie nach der anderen Hälfte des Gurtes tastete, »warum hast du mich nicht rechtzeitig geweckt? – Steh mal auf, du sitzt drauf!«
»Ich? Wo?«
»Na, auf dem Ding da!«
»Auf welchem Ding?«
Ungeduldig zerrte sie an dem Gurt. »Auf der Schnalle, ich meine, auf dem Blechding zum Zumachen … Himmel, du weißt doch, was ich meine!«
Jetzt wußte Florian in der Tat, was sie meinte. Tinchen hatte so heftig an dem Gurt gezogen, daß dieses ›Blechding‹ in höchst nachhaltiger Weise mit seinem empfindlichsten Körperteil in Berührung gekommen war. »Aua!« jaulte er los, »bist du verrückt geworden, Tine?«
Nur mit den Augen inspizierte sie den fraglichen Bereich. »Hab dich nicht so, es ist ja noch alles dran!« Dann wandte sie sich wieder dem Fenster zu. »Sieh mal, da unten schwimmt ein großes weißes Schiff, das ist bestimmt einer von diesen Kreuzfahrtdampfern. Wollten wir nicht auch mal …«
»Schiffe schwimmen nicht, sie fahren«, fiel ihr Florian ins Wort, bevor sie ihre Überlegungen weiter ausführen konnte, denn
Weitere Kostenlose Bücher