Hotel Mama vorübergehend geschlossen
sich ein jamaikanischer Bruder von einem deutschen nicht nur durch die Hautfarbe unterscheidet, sondern in erster Linie durch die nicht vorhandene Verwandtschaft; erst nach Tagen war Tinchen dahintergekommen, daß
Bruder
auf Jamaika einfach ›Freund‹ bedeutet, ›Kumpel‹ oder auch nur ›Mann‹. Vermutlich war Bobbys ›Brother‹ nichts anderes als der Schwager von dem Freund des Freundes seiner Schwester. Oder so ähnlich.)
Brothers Auto war auch längst nicht so gepflegt wie das von Bobby, außerdem hatte es diverse Dellen und eine verbeulte Stoßstange, aber es brachte sie ans Ziel, und das bedeutete, wie überall an touristischen Wallfahrtsorten, an einen riesigen Parkplatz.
»Wenn Sie sich an dieser Klettertour beteiligen wollen, dann nehmen Sie feste Schuhe mit«, hatte Frau van Dahlen empfohlen. »Turnschuhe, die Wasser vertragen können, oder am besten diese Füßlinge, wie man sie für Schwimmflossen benötigt.«
Tinchen war bisher immer barfuß in ihre Flossen geschlüpft, besaß also gar keine Füßlinge, aber Turnschuhe hatte sie, und die hatten tatsächlich schon diverse Schonwaschgänge in der Maschine überstanden. Einziger Nachteil: Sie standen zu Hause im Schrank.
»Es wird auch ohne gehen«, hatte sie Florian versichert, als der heute morgen kritisch jene netzartigen Badeschuhe betrachtet hatte, die Tinchen ihm vor Beginn der Reise heimlich gekauft hatte. Allerdings völlig umsonst, er hatte sich beharrlich geweigert, sie auch nur anzuprobieren. »Bevor ich mich damit lächerlich mache, trete ich lieber auf 'ne Muschel!«
Frau Antonie hatte ihre Beteiligung am Aufstieg von vornherein abgelehnt, Frau Klaasen-Knittelbeek dagegen von einer vorherigen Besichtigung der Strecke abhängig gemacht und vorsichtshalber einen Badeanzug mitgenommen. Nein, nicht den blaugoldenen, die Applikationen könnten in Mitleidenschaft gezogen werden, der apfelgrüne würde es auch tun. Sie steuerte schon einen der als Umkleidekabinen bezeichneten Holzverschläge an, als Frau Antonie sie zurückhielt. »Wollen Sie sich unbedingt sämtliche Knochen brechen, Dorothee?«
Sie zeigte auf eine Gruppe Kletterer, die gerade mit dem Anstieg begonnen und schon hier, wo es noch relativ flach war, mit der Strömung zu kämpfen hatte. »Das ist nichts mehr für uns!«
Auch Dorothee sah das nun ein. Außerdem mußte ja jemand fotografieren, und das konnte sie wesentlich besser als Antoinette, die den Leuten immer die Füße abschnitt.
Tinchen betrachtete ebenfalls mißtrauisch die zum Teil recht glitschig aussehenden Stufen, die sich am Rand der herabstürzenden Wassermassen emporschlängelten. Manche schienen ziemlich weit auseinanderzuliegen. Sollte sie da wirklich rauf?
Florian hatte sich bereits ausgezogen, stopfte seine Sachen in die mitgebrachte Strandtasche und drückte sie seiner Schwiegermutter in die Hand. »Nicht verlieren, Toni, sonst muß ich nachher nackt herumlaufen!« Dann stürzte er sich mutig in die Fluten. Und sofort wieder hinaus. »Pfui Deibel, ist das kalt!«
»
Wie
kalt?« wollte Tinchen wissen. Für sie war Badewasser erst ab fünfundzwanzig Grad aufwärts akzeptabel.
»Keine Ahnung, irgendwo zwischen Kältetod und Bevölkerungs-Nullwachstum.« Dann sah er sie lachend an. »Nun komm schon rein! Wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es bestimmt sehr erfrischend.«
Frau Antonie mußte die Tasche noch einmal herausrücken und bekam sie bis zum Rand vollgestopft mit Tinchens Kleidern wieder zurück. »Könnte Dorothee nicht wenigstens die Handtücher …?«
Dorothee konnte nicht, die knipste. Erst das zitternde Tinchen, wie es vorsichtig den rechten Fuß ins Wasser streckte, dann Florian, der wasserspritzend Wohlbefinden demonstrierte, danach wieder das flüchtende Tinchen und schließlich den hinterhersprintenden Faun, wie er seine schreiende Elfe einfing und zur Erheiterung aller Umstehenden ins Wasser zu zerren versuchte. Den spektakulärsten Moment, als das Zugband von Florians Badehose aufging, hatte Frau Klaasen-Knittelbeek leider nicht festhalten können, weil der Film zu Ende gewesen war. Dabei hatte sie noch beim Frühstück erwähnt, daß sie einen neuen einlegen müsse, nur hatte sie das später glatt vergessen.
Hinterher, als sie oben angekommen waren und sich auf dem mit einer erklärenden Inschrift versehenen Stein zum Schlußfoto postierten, behauptete Tinchen, die ganze Sache habe einen Heidenspaß gemacht, die aufgeschrammten Beine sähen viel schlimmer aus als es sei, das Wasser
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