Hotel Mama vorübergehend geschlossen
überwiegend alkoholische, die sie dann im Laufe des Nachmittags gläserweise zurückkaufen durften. Natürlich wurden auch Großeltern erwartet, Onkel, Tanten, babysittende Nachbarn und ein paar von jenen schon sehr älteren Damen, von denen niemand wußte, zu wem sie eigentlich gehörten, die aber immer den teuersten Kuchen kauften und sich nur selten das Wechselgeld herausgeben ließen. Geschwister waren übrigens nicht so gern gesehen. Sie waren selten schon alt genug, um gelegentliche Pannen großmütig zu übersehen, statt sie kichernd zu kommentieren.
Als Tinchen endlich einen Parkplatz gefunden hatte und – Tanja hinter sich herzerrend und gleichzeitig den durch die Kristallschale aufgewerteten Wurstsalat jonglierend – den Weg zum Gemeindesaal entlangstürmte, wurde sie schon an der Tür von ihrer wütenden Schwiegertochter empfangen. »Wo bleibst du denn nur? Alle warten bloß noch auf dich!«
»Auf mich?«
»Nein, auf Tanja natürlich, sie muß doch noch umgezogen werden!« Dann erst sah sie ihre Tochter genauer an. »Wie siehst du denn aus? Was soll dieser scheußliche Anzug? Warum hast du nicht mehr das neue Kleid an?«
»Weil der Kartoffelsalat auf dem Kragen farblich nicht so gut gepaßt hat!« antwortete Tinchen. »Frag lieber nicht weiter, ich erklär's dir später!« Sie deutete auf die Schüssel. »Wo werde ich die los?«
»Irgendwo da drüben!« Damit packte Ulla die völlig verschüchterte Tanja am Arm und verschwand mit ihr hinter einer Tür mit dem handgemalten Schild
Künstler-Garderobe.
›Da drüben‹ war der durch eine verschiebbare Wand abgeteilte kleinere Raum, in dem die schon gedeckten Tische auf die später hoffentlich ausgehungerten Besucher warteten. Zwei seitwärts aufgestellte Büffets waren schon schwer beladen, eins mit Kuchen und Torten, das andere mit Schüsseln voller Salate, rote, grüne, gelbe, bunte – letztere waren die aus den drei Sorten Paprika –, Platten mit belegten Broten, Käsewürfeln, Schinkenröllchen mit Spargel drin, Fliegenpilz-Tomaten und welche in der moderneren Variante nämlich mit Mozzarella und dem Basilikum-Blättchen obendrauf. Dazwischen standen riesige Körbe mit Backwaren, in denen französisches Baguette, schwäbische Laugenbrötchen und türkisches Fladenbrot direkt neben Milchbrötchen und schwarzem Pumpernickel lagen. »Multikulturell«, sagte Tinchen, auf den vor ihr stehenden Korb zeigend, »wenigstens hier klappt es problemlos.« Dann übergab sie ihre Schüssel einer herbeieilenden Frau, durch die brettsteif gestärkte, weiße Schürze als dazugehörig erkennbar und erfuhr, daß es bereits fünfmal Wurstsalat gebe und nur einmal Kartoffel, anscheinend käme dieser Salat völlig aus der Mode, was wiederum verständlich sei wegen der Mayonnaise und der Kalorien … Dann endlich konnte Tinchen in den Saal zurückgehen und sich einen Platz suchen. Sie hatte gehofft, Ulla würde ihr einen freigehalten haben, doch die war gar nicht zu sehen. Dafür winkte in der dritten Reihe von vorne jemand, was Tinchen aber nicht auf sich bezog und erst aufmerksam wurde, als ihr Name fiel. »Hey, Tante Tina, hierher!«
Es war Björn, der jetzt aufstand, um sie durchzulassen. Neben ihm saß Thorsten, eine Videokamera vor den Augen. »Wenn die nachher nicht genügend Licht auf der Bühne haben, gibt das eine einzige graue Soße.« Dann erhob auch er sich. »Guten Tag, Frau Bender. Jetzt wird es aber wirklich Zeit, daß Sie kommen, seit zwanzig Minuten verteidigen wir Ihre Plätze mit Klauen und Zähnen. Ihr Mann ist nämlich auch noch nicht da!« Er zeigte auf den ebenfalls noch freien Stuhl neben sich.
»Seid ihr sicher, daß er überhaupt kommt? Zu sowas geht er doch nie!«
»Geht er doch!« japste Florian, »und er wäre schon viel früher dagewesen, wenn er nicht einen halben Kilometer Friedhofswanderung hinter sich hätte! Erst habe ich das verdammte Gemeindehaus nicht gefunden, dann keinen Parkplatz, und als ich nach zehn Minuten endlich einen hatte, kommt doch so ein Halbuniformierter und sagt mir, daß da nur Friedhofsbesucher parken dürfen. Er hat auch genau aufgepaßt, ob ich reingehe. Zum Glück gab's auf der anderen Seite noch einen Ausgang.« Erleichtert ließ er sich auf den Stuhl fallen. »Ich glaube, seit meiner Lokalreporterzeit bin ich nicht mehr in dieser Gegend gewesen, und damals hat das hier noch ganz anders ausgesehen.«
»Ich finde es jedenfalls bemerkenswert, daß du dich tatsächlich in der Redaktion losgeeist
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