Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Rüdiger, bitte laß mir das Vergnügen, dieses zauberhafte Geschöpf herumzuführen, du hast es schließlich öfter. Übrigens«, wandte er sich an seine Begleiterin, »ich bin Clemens, Rüdigers ältester Bruder.«
»Ich weiß. Sie wohnen in Tübingen und sind ein bekannter Arzt. Das stimmt doch?«
»Na ja, so ungefähr.«
»Und der andere Herr ist bestimmt Herr Florian Bender, Ihrer beider Onkel, nicht wahr?« Lächelnd reichte sie ihm die Hand.
»Alle Wetter«, staunte der, »hast du der Dame den ganzen Stammbaum erläutert?«
»Auswendig gelernt!« bestätigte Rüdiger mit einem schiefen Grinsen, »wenn man nicht wie wir von Anfang an dabei ist, findet sich durch diesen Verwandtschaftsklüngel doch niemand durch.«
»Was meinst du, Florian, beginnen wir in der Küche?« Unternehmungslustig steuerte Clemens die Tür an.
»O bitte nein«, sagte Joyce sofort, »keine Hausfrau mag es, wenn man in ihr ganz persönliches Revier eindringt. Außerdem habe ich Frau Tina schon kennengelernt.«
»Also gut, gehen wir mal nach oben!«
Die drei stiegen die Treppe empor, während Fabian seinen Sohn an sich drückte. »Ganz ehrlich, Junge, diese Joyce gefällt mir ausnehmend gut, und ich könnte mir vorstellen, daß sogar deine Mutter …«
»Da solltest du sie aber besser kennen!«
Wieder läutete es. Rüdiger öffnete und bekam als erstes eine stanniolpapierumhüllte Servierplatte und eine Sauciere in die Hände gedrückt. »Wer immer Sie sind, würden Sie das bitte in die Küche bringen?«
»Guten Tag, Frau Pabst, ich bin Rüdiger, Onkel Florians Neffe, und das neben mir ist mein Vater. Aua, das ist ja heiß!« Er trabte schleunigst ab.
»Den Herrn Professor kenne ich selbstverständlich«, sagte Frau Antonie, ihm die nun freie Hand reichend, »und wenn Sie mir Zutritt gewähren, dann kann ich Sie auch mit meiner Mitbewohnerin, Frau Klaasen-Knittelbeek, bekanntmachen«. Fabian trat zur Seite, so daß auch Frau Ka-Ka durch die Tür schlüpfen konnte. »Liebe Dorothee, das ist der berühmte Professor Bender, der Bruder meines Schwiegersohnes.«
»Sehr erfreut«, sagte Frau Klaasen-Knittelbeek und meinte es auch so, »ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
Fabian konnte sich zwar nicht vorstellen, was sie denn von ihm gehört haben sollte, doch er ignorierte die Bemerkung und half den Damen beim Ablegen ihrer Mäntel. »Mein Sohn Karsten hat uns hergefahren. Ich habe ihn um diese Gefälligkeit bitten müssen, da in diesem Hause offenbar niemand auf den Gedanken gekommen ist, uns abzuholen. Sollte ich denn den Rehrücken einen Kilometer weit durch die Straßen tragen?«
»Sie haben einen Rehrücken gemacht, gnädige Frau? Dafür lasse ich jeden Gänsebraten stehen«, sagte Fabian. »Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zum letztenmal einen gegessen habe.«
»Das lassen Sie besser nicht meine Tochter hören, Herr Professor, sie hat's nämlich nicht so mit den Wildgerichten, kann sie auch gar nicht richtig zubereiten, aber ich darf Ihnen versichern, daß dieser Rehrücken wirklich delikat ist.«
»Davon bin ich überzeugt, gnädige Frau.« Noch einmal war Fabian versucht, sich den Herrn Professor zu verbitten, doch dann erinnerte er sich an die Worte seines Bruders, mit dem er schon darüber gesprochen hatte. »Toni stammt zwar aus dem 20. Jahrhundert, aber eher aus dem frühen, und da hatte man es noch mit der Titelei. Herr Sekretär und Herr Amtsvorsteher klang bedeutungsvoller als Herr Meier oder Herr Müller. Ich glaube, sie hat es nie so recht verwunden, daß es keinen Titel gab, mit dem man ihren Ernst hätte anreden können. Herr Uhrmachermeister? Hört sich ja nun wirklich albern an. Also laß sie! Sie genießt den Herrn Professor, und daß es dazu noch eine Frau Professor gibt, ist das Sahnehäubchen obendrauf. Ich möchte nicht wissen, wie oft sie Gisela und dich schon in ihrem Canasta-Club erwähnt hat, natürlich nur nebenbei, aber sowas hebt das Prestige!«
»Was halten Sie davon, wenn ich Sie beide zu meiner Frau bringe?« schlug Fabian vor. »Sie sitzt allein im Wintergarten und freut sich bestimmt, wenn sie endlich Gesellschaft bekommt.«
»Natürlich, gern«, sagte Frau Antonie sofort, ihre Haare vor dem Garderobenspiegel richtend, »dann werden Sie auch endlich die Frau Professor kennenlernen, liebe Dorothee.«
Die liebe Dorothee wies darauf hin, daß sie dieses Vergnügen bereits im vergangenen Jahr gehabt hatte, als der Herr Professor am Weihnachtsessen bedauerlicherweise nicht
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