Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Tablett?«
»Ja, aber binde dir vorher die Schürze ab, sonst steckt dir am Ende doch noch jemand Trinkgeld in die Tasche.«
Tinchen lachte. »So viel Humor hat keiner!«
Sie betraten den Wintergarten genau in dem Moment, als Rüdiger seiner Mutter einen Kuß auf die Wange drückte, was sie aber gar nicht wahrzunehmen schien. Über seine Schulter hinweg starrte sie auf die junge Frau, die Rüdiger jetzt ein paar Zentimeter nach vorne schob. »Mutter, das ist Joyce Brennan, eine gute Bekannte von mir, und das, Joyce, ist meine Mutter.«
»Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Frau Professor.«
»Sie hockt da wie die Königin-Mutter«, flüsterte Katrin Tinchen zu. »Hoffentlich kann sie sich wenigstens dazu überwinden, ihr die Hand zu geben.«
Das tat Gisela dann auch, allerdings so hoheitsvoll, als erwarte sie einen Handkuß. Den bekam sie nicht, doch zu ihrer Überraschung deutete Joyce einen Knicks an. »Jemand, der vier Kinder großgezogen und sie ihren Anlagen und Neigungen entsprechend gefördert hat, muß ein bemerkenswerter Mensch sein.«
Beinahe hätte Tinchen ihr Tablett fallenlassen. »Entweder hat sie eine enorme Menschenkenntnis, oder Rüdiger hat sie entsprechend geimpft«, wisperte sie, »genau
das
waren die Worte, mit denen sie Gisela schachmatt setzen konnte. Guck mal, sie weiß tatsächlich nicht, wie sie jetzt reagieren soll.«
Dafür reagierte Frau Antonie. Sie nahm Joyce einfach in den Arm. »Ich weiß zwar nicht, wo Ihr Zuhause ist, aber doch bestimmt nicht um die Ecke herum. Deshalb ist es sicher nicht leicht für Sie, Weihnachten in einem fremden Land und in einer Ihnen doch auch fremden Familie verbringen zu müssen, nicht wahr?«
»Vielen Dank, Sie sind sehr nett, aber so schlimm, wie Sie glauben, ist es ja gar nicht. Ich habe nicht nur
eine
Heimat, sondern mindestens zwei. Oder zweieinhalb, mein Kindermädchen kam nämlich aus Deutschland. Papa ist Jamaikaner und meine Mutter Italienerin, aber meistens leben sie in Vicenza, und dort sind wir bis gestern gewesen.«
»Ach«, entfuhr es Tinchen, »tatsächlich Jamaika? Da müssen Sie mir nachher unbedingt …«
»Haben wir deshalb am Heiligen Abend auf deine Anwesenheit verzichten müssen, Rüdiger?« kam es indigniert aus der Sofaecke.
»Teils, teils, Mutter«, sagte der, »unser Engagement endete am Vierundzwanzigsten um Mitternacht und bis dahin haben wir gespielt.« Und als er Giselas mokantes Lächeln sah: »Es gibt nämlich Länder, in denen Weihnachten als Freudenfest gefeiert wird und nicht so trist-sentimental wie hierzulande.«
Nun fühlte sich Frau Klaasen-Knittelbeek ebenfalls bemüßigt, an dem etwas anstrengend werdenden Gespräch teilzunehmen. »Ich liebe Italien«, warf sie ein, »dort habe ich zwei meiner schönsten Jahre verbracht – in San Remo, wo die Riviera am lieblichsten ist. Nicht umsonst ist dieser Ort in die Musikgeschichte eingegangen.«
»Wie denn das?« erkundigte sich Katrin ganz leise.
Tinchen zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, wahrscheinlich Mozart oder Wagner. Einer von ihnen wird dort wohl mal spazierengegangen sein und in einer Taverne seinen Chianti getrunken haben. Die sind ja beide ziemlich reiselustig gewesen.«
Frau Klaasen-Knittelbeek belehrte sie eines Besseren. Mit viel Schwung, doch leider nicht ganz tonrein schmetterte sie los: »Frühling in San Remo, leise rauscht das Meer … Paul Abraham hat doch herrliche Melodien geschrieben.«
»In diesem Fall war es Fred Raymond, liebe Dorothee, und ob ein Badeort, nur weil er als Kulisse für eine zwar hübsche, jedoch anspruchslose Operette diente, in die Musikgeschichte eingegangen ist, möchte ich denn doch bezweifeln.« Frau Antonies ironischer Unterton war nicht zu überhören.
»Ich glaube, das war unser Stichwort!« meinte Katrin, »sonst gehen sie sich doch noch an die Gurgel.« Und dann, mit lauter Stimme: »Der Butler hat heute Ausgang, deshalb servieren ausnahmsweise einmal wir die Cocktails. Darf ich bitten?«
Als jeder sein Glas in der Hand hielt, löste sich die etwas gespannte Stimmung, zumal jetzt auch die Kinder hereinpurzelten und ebenfalls ›sowas mit Obst drauf‹ forderten. Tinchen hatte bereits vorgesorgt und ein Gemisch aus Ananas- und Orangensaft zusammengerührt, mit einem winzigen Schuß Blue Curaçao eingefärbt und mit einer halben Scheibe Ananas dekoriert. »Aber ganz langsam trinken, sonst steigt es euch in den Kopf«, warnte sie.
Björn nutzte die Gelegenheit, seine Großmutter zu begrüßen,
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