Hotel Mama vorübergehend geschlossen
plötzlich Karsten aufgesprungen, weil er im Kofferraum seines Wagens etwas vergessen hatte. »Da stehen noch zwei Schüsseln mit was Undefinierbarem drin. Die hatte mir Toni in die Hand gedrückt, aber was es ist, weiß ich nicht.« Dann war er hinausgelaufen, Frau Klaasen-Knittelbeek hatte mit zusammengekniffenen Lippen ihr Besteck zusammengelegt, und Tinchen hatte fieberhaft versucht, das plötzliche Schweigen im Zimmer zu brechen. »Für Karsten besteht ein Nachtisch aus Schokoladenpudding mit Vanillesoße, damit hat er sich schon als Kind vollgestopft, alles andere fällt bei ihm in die Rubrik ›Sieht nicht aus wie Pudding, ist kein Pudding, kann also nicht schmecken, eß ich nicht!‹ Dabei bin ich davon überzeugt, daß das, was uns Frau Klaasen-Knittelbeek als Dessert spendiert hat, ausgezeichnet munden wird.«
Hoffentlich habe ich überzeugend genug geschwindelt, betete sie im stillen, denn ihre Mutter hatte sich schon des öfteren recht negativ über die Kochkünste ihrer Mitbewohnerin geäußert. »Ich weiß nicht«, hatte sie gesagt, »ob sie die Rezepte falsch liest oder die Zutaten nach Belieben variiert, ein Zimtparfait sollte ja wohl nach Zimt schmecken und nicht nach Bittermandel, doch dafür hatten ihre selbstgebackenen Anisplätzchen einen eigenartigen Beigeschmack von Pfefferminz. Ich lasse sie ja auch ungern in die Küche, aber manchmal überkommt es sie einfach, und dann will ich sie auch nicht kränken.«
»Ich hab's in und auf die Mikrowelle gestellt, woanders war kein Platz mehr«, hatte Karsten gesagt, bevor er sich wieder mit größtem Appetit über seine Putenkeule hergemacht hatte. Übrigens war er der einzige gewesen, der sich lobend darüber ausgelassen hatte. Florian hatte seine Keule als nicht richtig gar und beinahe schon waffenscheinpflichtig bezeichnet, worauf Tinchen alle Schuld von sich gewiesen hatte und mit der Wahrheit herausgerückt war. Es war das Beste gewesen, was sie hatte tun können. Nachdem sich das allgemeine Gelächter gelegt hatte, waren die abstrusesten Vorschläge gekommen, wie man die Gäste ohne fremde Unterstützung doch noch hätte abfüttern können. Rüdiger war für Spanferkel am Spieß gewesen, bei der zu erwartenden Größe des Feuers hätte der zum Drehen in den Garten Abkommandierte trotz der winterlichen Außentemperaturen nicht mit gesundheitlichen Einbußen rechnen müssen, außerdem hätte man ja einen halbstündigen Wechsel vornehmen können. Clemens war der Meinung gewesen, man hätte den Kamin mit einbeziehen sollen, es gäbe jetzt Einrichtungen zum Grillen, die man auch nachträglich noch einbauen lassen könne, während Fabian auf die Gänse verzichtet und statt des einen Rehrückens lieber ein halbes Dutzend davon serviert hätte. »Nichts gegen deinen Gänsebraten, Tina, er ist bestimmt vorzüglich gewesen, aber genaugenommen kriegst du ihn um diese Zeit in jedem Restaurant, doch wann und wo bekommt man einen so zarten Rehrücken wie ihn deine Mutter mitgebracht hat? Von der Soße will ich erst gar nicht reden, die ist einfach göttlich!«
Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ihm Frau Antonie um den Hals gefallen, und vielleicht hätte sie es sogar getan, wäre nicht Gisela gewesen, die ihr gegenüber saß und sie mit ihrem Blick förmlich erdolchte. Sie wußte ja selber, daß sie keine Ahnung vom Kochen hatte, doch wofür hatte man schließlich Personal?
Und wieder hatte Tinchen die Situation gerettet. »Ich habe ja seinerzeit bei eurem Marthchen erst richtig kochen gelernt, aber an den Rehrücken hat sie mich auch nicht rangelassen. Zugucken durfte ich, doch mehr auch nicht. Das kann man nicht lernen, hat sie immer gesagt, das muß man im Gefühl haben, und du hast es nicht!« Sie setzte eine zerknirschte Miene auf. »Ein wahrhaft vernichtendes Urteil, aber anscheinend trifft es zu. Ich kenne nämlich keinen Rehrückenkoch oder meinetwegen auch -köchin, deren Produkte vor Muttis Gaumen Gnade gefunden haben – außer denen von Martha. Und wenn ich mich recht erinnere, hat sie sich von ihr sogar noch ein paar Tips geben lassen.«
»Das stimmt!« hatte Frau Antonie sofort bestätigt, »seitdem ist mir nie wieder die Sahne geronnen. – Sie wird wohl auch nicht mehr leben?«
»Die Sahne?« hatte Karsten gefragt, »na, hoffentlich nicht«.
»Martha war der gute Geist unseres Hauses«, hatte Fabian geseufzt. »Solche Perlen gibt es heute gar nicht mehr, die sind mit ihr ausgestorben.«
Dann hatte Tim sein Glas umgestoßen, der
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