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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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warmgehalten haben wir das Essen in den Betten.« Tinchen hatte zwar etwas von ›nicht gerade hygienisch‹ gemurmelt, mußte jedoch einsehen, daß sie gar keine andere Möglichkeit hatte. »Außer uns weiß es ja niemand, und außerdem habe ich um das Zeitungspapier immer noch ein Handtuch gewickelt.«
    »So, Herr Professor Doktor med.«, sagte sie, ihrem Schwager die Platte mit der ersten Gans und das Tranchierbesteck reichend, »du bist ja wohl am ehesten prädestiniert, diesen Vogel in seine Einzelteile zu zerlegen!«
    »Bist du verrückt?« wehrte Clemens ab. »Ich bin Neurologe, habe also in erster Linie mit Köpfen zu tun, und die Gans hat keinen mehr! Was soll ich also mit diesem Mordwerkzeug?«
    »Auch du mußt mal im Anatomiesaal gestanden haben!«
    »Das ist Jahrzehnte her!«
    »Egal, so etwas vergißt man nie!« behauptete sie.
    Einen Augenblick lang schwieg Clemens, dann setzte er ein hinterhältiges Grinsen auf, kritzelte ein paar Zahlen auf eine Papierserviette und reichte sie Tinchen. »Dein Matheunterricht dürfte annähernd so lange zurückliegen wie mein Anatomiestudium. Wenn du also innerhalb von fünf Minuten diese Gleichung mit zwei Unbekannten lösen kannst, dann werde ich …«
    Tinchen kapitulierte. »Das ist zwar unfair, aber ich gebe mich geschlagen.«
    »Ich auch«, sagte Clemens, »nun gib das Vieh schon her, ich hab Hunger!«
    Am anderen Tisch hatte Rüdiger die Initiative ergriffen. »In den Staaten ißt man bekanntlich bei jeder Gelegenheit Turkey, und solch einen Vogel habe ich schon ein paarmal zerlegt, aber wenn ich recht informiert bin, besteht zwischen beiden Tierarten eine Art Verwandtschaft, also nehme ich doch an, daß sie zumindest den Brustkorb an der gleichen Stelle haben. Das ist nämlich die Mitte.« Mit mehr Enthusiasmus als Können säbelte er drauflos, mußte jedoch zugeben, daß das Ergebnis zumindest rein optisch keineswegs zufriedenstellend war. »Kann nicht mal jemand die gestrichelten Linien hinmalen, die immer in den Kochbüchern sind?«
    »Darf ich das einmal versuchen?« Nur schwer hatte sich Joyce das Lachen verbeißen können, während sie den beiden Männern bei ihrem nicht gerade ästhetischen Tun zusah. Jetzt nahm sie Rüdiger das Besteck aus der Hand, und innerhalb kurzer Zeit hatte sie die Gans fachmännisch tranchiert. »Soll ich das bei der anderen auch machen?«
    »Nein!« schrie Clemens. »Sie nehmen mir ja mein letztes bißchen Selbstbewußtsein weg!« Seufzend verglich er die von Joyce appetitlich angerichteten Bratenstücke mit seinen. »Ich gestehe neidvoll, daß Sie es wesentlich besser können, aber billigen Sie mir wenigstens zu, daß das Ergebnis meiner Sezierarbeit immer noch ansprechender aussieht als das meines Bruders.«
    »Was wollt ihr denn essen?« wandte sich Tinchen an den Katzentisch, wo die Kinder sich ausnehmend brav und ruhig verhielten. »Gans oder Putenkeule, und dazu Klöße oder lieber Kartoffeln? Spätzle haben wir auch und …«
    »Pommes mit Ketchup!« kam es vierstimmig zurück, begleitet von Getuschel und Gekicher.
    »Könnt ihr haben!« sagte Tinchen sofort, »das habe ich mir nämlich fast schon gedacht. Ich hole sie schnell.« Sie machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen. Damit hatten die vier allerdings nicht gerechnet. »Weißt du, T-tante T-t-tina«, fing Matthias an zu stottern, »ich glaube, wir essen doch lieber das andere.«
    »Na dann. Was möchtet ihr denn gern?«
    »Schpaghetti mit Momatensoße!« piepste Tanja.

6.
    Man saß beim Kaffee beziehungsweise beim Espresso, denn »Mokka, wie man ihn früher nach einem guten Essen reichte, scheint völlig aus der Mode gekommen zu sein«, hatte Frau Antonie bemängelt und um eine Tasse Kaffee gebeten, »aber richtigen gemahlenen und nicht das Krümelzeug aus der Dose!« Frau Klaasen-Knittelbeek hatte sich der Bitte angeschlossen, und dann wollte Gisela auch welchen haben. Julia war Richtung Küche verschwunden, Björn hinterhergetrabt. Er hatte die nicht unbegründete Befürchtung, seine Großmutter würde ihn erneut zum Rapport befehlen, denn sie hatte noch längst nicht alles aus ihm herausquetschen können, was sie wissen wollte. Die Beschreibung des Gala-Diners beim Konsul war nämlich von Frau Klaasen-Knittelbeek unterbrochen worden, die sich bei dem Herrn Professor Clemens nach den von ihr vermuteten Zusammenhängen von Ozonloch und Alzheimer erkundigt hatte. Als Björn erneut versucht hatte, die Honoratioren der in Brunei lebenden Europäer aufzuzählen, war

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