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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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dir schon nicht so schnell das Glück!« Sie klopfte mir auf den Rücken, sie war eigenartig, aber ich begriff bald, dass sie die beste Zimmergenossin war, die man haben konnte.
    Der kleine Wecker, den wir auf dem Markt gekauft hatten, klingelte um Punkt sieben. Das war die Uhrzeit, zu der ich aufstehen musste, wenn ich noch etwas vom Frühstück abhaben und rechtzeitig die Straßenbahn zur Schule erwischen wollte.
    Es war mein erster Schultag. Und das war ein großer Tag für mich. In der Grundschule hatte mich Mama am ersten Schultag gekämmt. Zärtlich hatte sie gesagt, es sei ein ganz besonderer Tag. Jetzt war niemand da. Niemand sagte so etwas zu mir. Es war nur Ivana da, und sie sagte nur »Hey!«. Und zwar auf dem Weg zur Toilette. »Hey!«, sagte ich und fühlte mich sehr allein. Das Alleinsein wurde schön mit der Zeit. Es brachte mir Freiheiten. Ich konnte tun, was ich wollte.
     
    *
     
    Die Straßenbahn hat Verspätung. Die Schule ist ein Rundbau mit zwei identischen Eingängen an beiden Seiten, und ich verlaufe mich natürlich erst einmal. Als ich endlich die richtige Ebene erreiche, brauche ich noch eine ganze Weile, bis ich das Klassenzimmer 1f finde. »Guten Tag«, sage ich, »ich bitte um Verzeihung, meine Straßenbahn hatte Verspätung.« Von all den Lenas und Bornas, mit denen ich von nun an meine neue Zagreber Schulzeit teilen werde, kriege ich, der Flüchtling aus Vukovar, lediglich ein Lachen zu hören. Sie finden meine Ausrede kindisch und abgenutzt. Die Straßenbahn gehört hier zum Alltag. Die Straßenbahn hat immer Verspätung. Wie kann man nur so dumm sein, sie gleich am ersten Tag als Ausrede zu benutzen und dabei auch noch so bescheuert auszusehen? »Was kommt denn morgen, wenn du schon am ersten Tag mit so etwas anrückst?« Die kleine Frau mit den wirr durcheinanderstehenden Haaren bekreuzigt sich. Sie ist meine neue Klassenlehrerin. Ich hatte schon befürchtet, dass sie so etwas sagen würde. Ich setze mich neben ein Mädchen mit blonden Haaren, weil da ein Platz frei ist, gleich in der ersten Reihe, und spüre auf meinem Rücken die stechenden Blicke aus den hinteren Reihen. Hier sitze ich, denke ich, die beste Zielscheibe aller Zeiten. Die Vorstellungsrunde beginnt in der hintersten Reihe, wir sollen vor allem unsere Hobbys nennen, und als vorne die zweite Reihe dran ist, weiß ich schon, dass die Mehrheit der Mädchen im berühmten kroatischen Sternchen-Chor mitsingt. Sie finden das selbst ganz großartig und sagen immer wieder mit verzückter Stimme: »Ach, du auch?« Die Mehrheit der Jungs fährt Ski oder spielt Tennis, einer besitzt sogar ein eigenes Pferd im Hippodrom. Fast alle wohnen im Zentrum, lediglich ein, zwei tanzen aus der Reihe, kommen aus einem der Städtchen bei Zagreb und haben einfach nur sehr ambitionierte Eltern.
    Dann komme ich dran. Ohne ein Pferd im Hippodrom. Aus Vukovar, aus Zagreb, aus Kumrovec. »Na ja, nun, ich lebe nicht im Zentrum, ich lebe in einem Wohnheim«, sage ich. Ich hatte die magischen Worte ausgesprochen. Sofort werde ich zu dem Mädchen aus dem Wohnheim. In der Pause stehen gleich drei Mädchen um mich herum und reden im Zagreber Dialekt auf mich ein. »Sag, hast du keine Eltern?« Am liebsten würde ich antworten: Nein, ich habe keine Eltern, ich komme nämlich vom Mars, man hat mich auf die Erde geworfen, und dann hat man mich auf einem Rübenacker gefunden. Wie kann man nur so dämlich sein, frage ich mich, wissen die etwa nicht, dass jeder Mensch Eltern hat? »Ich lebe in einem Schülerwohnheim, nicht in einem Waisenheim«, sage ich stattdessen mit einem Lächeln. Keine Ahnung, warum ich sie anlächle, ich fühle mich blöd dabei. Danach kann ich förmlich sehen, wie ihnen ein Licht aufgeht. Da sie nun die Information bekommen haben, die sie brauchten, machen sie kehrt und gehen weg. Ich schaue um mich. Heute ist ein großer Tag. Es muss hier doch auch nette Leute geben, denke ich, Leute, die kein Pferd im Hippodrom haben, keine perfekt ausgebildete Stimme, nicht nur Einsen im Zeugnis, keine besonderen Begabungen und Interessen, keine Hobbys, keine Ziele.
    Ich sehe, dass mich ein Mädchen beobachtet, deren Namen ich schon kenne, weil Mama ihn mir verraten hat. Aber weder das Mädchen noch ich gehen aufeinander zu. Es handelt sich um Onkel Grgos Adoptivtochter. Sie ist bei ihrer Freundin eingehakt, die sie allem Anschein nach noch von früher kennt. Es kann gut sein, dass sie mich irgendwie interessant findet, aber in ihrer Familie gab es

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