Hotel Nirgendwo - Roman
Schwimmen habe ich also dort nie wirklich gebraucht. Zur Donau bin ich immer mit meiner Großmutter zu Fuß gegangen. Sie sagte, ich würde wie eine Axt schwimmen, die man ins Wasser wirft. Die anderen Kinder tobten mit ihren Schwimmwesten herum, und ich durfte nur ein bisschen meine Füße nass machen und mein Gesicht waschen.
Endlich kamen wir an, und mir wurde ein großes Zimmer zugewiesen, das ich dann mit weiteren zwölf Mädchen meines Alters teilen musste. Ich kannte keines von ihnen. Als ich es mir auf einem der Betten gemütlich gemacht hatte, kam Željka mit der Leiterin herein und sagte, dass wir uns nicht mehr trennen dürften. Auf diese Weise landete ich zusammen mit den älteren Mädchen in einem Zimmer. Ich war glücklich und verängstigt. Dass ich dort gegen die Regeln eingeschleust worden war, passte manchen von ihnen gar nicht, sie glaubten, ich würde sie ausspionieren und dann alles bei der Leiterin ausplappern, aber es dauerte nicht lange und wir hatten uns alle miteinander angefreundet. Ich redete nicht allzu viel, ging ihnen nicht auf die Nerven und war zu allen höflich. Sie nannten mich Kleine, und ich war verzaubert von ihren Schulterpolstern, Deodorants, von ihren Schminkutensilien und ihren hochfrisierten Ponys. Auf der Terrasse des Erholungsheims, der wir den Namen Vila Promaja gegeben hatten, fand jeden Abend eine Disco statt. Mich verfolgte ständig ein Junge, den ich nicht kannte, aber alle drängten mich, mit ihm zu tanzen, weil er der Sohn einer berühmten Schauspielerin war. Tagsüber spielten wir »Mensch ärgere dich nicht« und trieben uns am Meer herum.
Eines Nachmittags wollte mein Bruder mit mir am Hafen spazieren gehen. Als wir das Ende der Mole erreicht hatten, stieß er mich plötzlich ins Meer. Ich fuchtelte mit den Armen, ich schrie, den Mund voller Wasser. Er stand an der Mole und trieb mich an. »Schwimm jetzt! Los, schwimm endlich!« Ich weiß nicht, wie es genau dazu kam, aber ich fand mich bald am Strand wieder. Ich fing an zu weinen, meine Kleider klebten an mir, an den Füßen hatte ich nur noch einen meiner weißen Lackschuhe. Mein Bruder sagte: »Na bitte, siehst du, du kannst es.«
So habe ich schwimmen gelernt.
*
Ich bin schon zwei Wochen länger am Meer, als es geplant war. Vor ein paar Tagen hatte es geheißen, es ginge zurück nach Hause. Doch kaum waren wir im Bus Richtung Hafen unterwegs, mussten wir wieder aussteigen. Dann begann alles von vorne, wir wurden zurück in unsere Zimmer gebracht und packten noch einmal unsere Reisetaschen aus.
Mein Bruder steht am Becken und wäscht mit der Hand unsere Unterhosen und Unterhemden. Wir haben keine saubere Wäsche mehr. Jeden Tag wird uns hier zum Mittagessen gegrillter Fisch vorgesetzt, inzwischen sehnen wir uns regelrecht nach unserer Rückkehr. Wir gehen häufig zum kleinen Einkaufsladen und essen Paris-Sandwiches mit Gemüse und Joghurt. Jetzt tut es mir leid, dass ich meine neue Barbiepuppe zu Hause gelassen habe, eine echte, mit Gummifüßen, die sich verbiegen lassen. Ich hatte Angst, dass man sie mir klauen könnte. Mitgenommen habe ich nur die unechte aus Plastik.
Als ich eines Morgens auf den Hof des Erholungsheimes hinauskam, sah ich dort plötzlich Mama stehen. Ich war so glücklich wie noch nie zuvor. Sie gab uns vier Kugeln Eis aus, und danach ging sie mit mir zum Friseur, der mir einen Stufenschnitt verpasste. Wir brachten sie und Željkas Mama, die ebenfalls gekommen war, in einem Sonderzimmer im Dachgeschoss unter. In dieser Nacht schlief ich mit Mama in einem Bett. Ich hörte ihrer Unterhaltung zu, sie redeten über ein rätselhaftes Durchschreiten von Maisfeldern, über Mira, die im neunten Monat ihrer Schwangerschaft Fahrrad gefahren war, ein Zug wurde erwähnt, in dem alle Vorhänge zugezogen werden mussten. Ich fand es einfach nur schön, im Bett zu liegen. Ich weiß, dass sich Mama mit Papa zerstritten hatte. Das hatte mir mein Bruder erzählt. Der Grund dafür war, dass er sich weigerte, Vukovar zu verlassen, er wollte sie nicht einmal nach Vinkovci fahren. Papa wollte bei niemanden den Eindruck erwecken, er würde auch nur darüber nachdenken zu flüchten. Später sollte keiner mit dem Finger auf uns zeigen können.
Ich frage lieber erst gar nicht nach Papa, ich will Mama nicht traurig machen, obwohl ich gerne wüsste, wann er eigentlich zu uns kommen wird. Wir sind schon einen ganzen Monat am Meer, das neue Schuljahr hat inzwischen begonnen, und bis wir wieder nach
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