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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Borovo aus dem Bus. In diesem Ort lernte Mama dann einen Typ kennen, der sehr gut aussah und heiß begehrt war, weil sein Bruder in Deutschland arbeitete. Als Mama ihn um eine Zigarette bat, schenkte er ihr eine ganze Packung Kent. Er brachte sie an diesem Abend auch nach Hause, aber nur bis zur Straßenecke, weil meine Oma am Tor auf sie wartete. Sie verabredeten ein neues Treffen, zu dem er nicht erschien. Mama wollte danach nichts mehr von ihm wissen, aber er kam so lange beharrlich jeden Tag zu ihrer Schule und zu den Schießübungen, bis sie wieder einwilligte, mit ihm auszugehen.
    Auf einem weiteren Bild trägt Mama ein blaues Mäntelchen mit hochgeschnittener Taille, sie steht im Schnee an der Eisenbahnstation in Vinkovci und hat sich bei einem jungen Mann eingehakt, der einen echten Pelzmantel anhat. Der Zug ist schon in die Station eingefahren. Auf dem Waggon steht etwas in kyrillischer Schrift, lesen kann ich es nicht, aber ich weiß, dass der Zug nach Makedonien fährt, weil Papa dort ein ganzes Jahr als Wehrdienstler verbracht hat. Sie hatten sich nichts versprochen, aber als Papa zurückkam, machten sie einfach dort weiter, wo sie aufgehört hatten, und zwar an der Eisenbahnstation Vinkovci, an der wieder Schnee lag. Noch ein Foto, Mama ist etwas älter, Oma und Opa kaum zu erkennen, die Sonne hat einen Teil des Bildes ausgeblichen. Mama trägt ein kurzes Seidenkleid und hat eine Schleife im Haar. Sie sind irgendwo auf dem Land, die Luft schwirrt vor Insekten, und hinter ihnen ist eine Statue zu sehen. Es ist die Statue von Josip Broz Tito, direkt vor seinem Geburtshaus. Oma, Opa und Mama bei einem Ausflug nach Kumrovec. Bald halte ich meine Lieblingsfotografie in der Hand: Mama im Brautkleid, neben einer Freundin im festlichen Gewand und einem großen Blumenstrauß, in der Gemeinde. Und auf der anderen Seite steht mein zurechtgemachter Papa im Anzug. Es ist kurz nach der Trauung und sie lächeln. Das Lächeln ist irgendwie anders, fast ein bisschen beschämt, als wäre nun, nach der ersten Nacht in Omas und Opas Haus, alles anders geworden. Es war, wenn man die Reisen ans Meer nicht mitrechnete, die erste Nacht, die meine Mama außerhalb ihres Mädchenzimmers verbracht hatte. Das Andersartige wurde nach Omas Satz noch deutlicher: »Du weißt, dass er nichts außer seinen zwei Händen hat und du kannst dir denken, was dich hier erwartet.«
    Das war die vorletzte Fotografie aus Omas Schachtel. Ein Foto hatte sich dort noch hineinverirrt, Mama muss sie Oma nach der Geburt meines Bruders geschenkt haben. Sie ist darauf mit einem kleinen Bündel im Arm zu sehen, wirkt müde und ist selbst in eine braune Weste gewickelt, weil nur in einem der Zimmer geheizt wurde. Ihre Haare sind kurz geschnitten. Oma steht hinter ihr, doch ihr Kopf ist auf dem Bild nicht mehr zu sehen. Ich kann sie förmlich sagen hören: »Hast jetzt dein Haar abgeschnitten, das einzige, was an dir schön war.«
    An alles andere erinnere ich mich selbst. Keiner glaubt es mir, aber ich erinnere mich an den Kindergarten, in den sie mich brachten, damit ich dort wie ein Baby spielte, ich erinnere mich an das orangefarbene Netz mit den gelben Punkten. Mama war schön und hochgewachsen, sie war lebendig und tanzte um mich herum. Nur manchmal verschwand sie hinter der Küchenwand. Offiziell kochte sie dort, aber inoffiziell, so erfuhr ich später, versteckte sie sich vor mir und setzte sich auf den Mülleimer, um ein wenig Atem zu holen, weil ich, wenn sie nicht in meiner Nähe war, alleine spielte und nicht immerzu meine Arme nach ihr ausstreckte. Ich kann die Linden noch riechen, sie duften in meiner Erinnerung weiter, und Mama geht mit mir spazieren, ich trage ein blaues, wallendes Kleid, und alle grüßen uns auf der Straße und schauen mich bewundernd an. Mama genießt diese anerkennenden Blicke und platzt geradezu vor Stolz. Sie bringt mich zur Tante Tanja in die Boris-Kidrač-Straße, in der eine prachtvolle alte Villa neben der anderen steht. Für mich soll ein neues Kleid genäht werden, und Mama will die Gelegenheit nutzen, um mit Tante Milica einen Kaffee zu trinken. Ich stehe schon bald auf dem Tisch, es wird Maß genommen, ich bin klein, wahrscheinlich drei Jahre alt, erinnere mich an alle Details, aber niemand glaubt mir, dass ich mich so genau erinnere. Ich hebe die Arme in die Höhe, tanze und drehe mich, und sie klatschen begeistert. Mama und ich gehen samstags früh zum Marktplatz, Mama trägt immer eine riesige Einkaufstasche

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