Hotel Nirgendwo - Roman
als ich mich umsehe, bemerke ich, dass wir noch gar nicht zu Hause sind. Mir steigt ein eigenartiger Geruch in die Nase, als sei ich in einem Krankenhaus, und dann stelle ich fest, ich bin tatsächlich in einem Krankenhaus. Ich liege auf einer Bahre, werde gerollt, aber Papa ist bei mir. Als er hinter einer weißen Tür verschwindet, sind seine Augen ganz groß. Eine unbekannte Stimme sagt: »Dein Bauch wird jetzt ein bisschen wehtun.« Aber von ein bisschen kann keine Rede sein. »Es tut entsetzlich weh, ich will zu meinem Papa«, sage ich, »holt meinen Papa her.« Und Papa kommt herein. »Es wäre besser, wenn Sie hinausgehen«, sagt die unbekannte Stimme. – »Ich hätte vorhin bei ihr sein müssen«, sagt Papa. Und bleibt. Meine Hand kommt mir ganz klein vor, weil sie von zwei großen Erwachsenenhänden gehalten wird, den Händen meines Vaters. Ich werde wach, jetzt bin ich schon in meinem eigenen Bett, zu Hause, Mama ist bei mir und streichelt mich. Sie sagt: »Du hast uns wirklich Angst gemacht, bitte mach das nie wieder. Du hast Papas Sinus-Tabletten geschluckt, und die Ärzte mussten dir den Magen auspumpen.« – »Ich dachte, das sind Bonbons.« Ich will wissen, ob wir trotzdem zum Donau-Štrand gehen. – »Ja«, sagt Mama, »und Željka kommt auch mit.« Ich freue mich sehr, nicht nur, weil wir zum Baden gehen, sondern weil wir alle zusammen sein werden. In unseren Yugo passen sieben Leute. Hinten sitzen Željka und ihre Mama, meine Mama und mein Bruder, Papa fährt, und der Vater meiner Freundin sitzt auf dem Beifahrersitz. Er lächelt und hat einen beeindruckenden Schnurrbart, der sich manchmal von allein bewegt, weswegen ich ihn Onkel Schnurre nennen. Ich war lange davon überzeugt, unter seiner Nase würde irgendein winziges Tierchen leben, das mich anpiksen würde, wenn ich ihm zu nahe käme. Außerdem fand ich Onkel Schnurre total sympathisch. Ich saß auf seinem Schoß, weil ich die Kleinste war, und wir vereinbarten, dass ich, falls die Polizei auftauchen sollte, einfach zwischen seinen Beinen nach unten rutschen würde. Diese Fahrt war sicher der aufregendste Ausflug an die Donau, den ich in Erinnerung habe. Die andere Reise, an die wir alle gern zurückdenken, war eine Fahrt ans Meer. Alle wollten, dass ich ein bekanntes Lied singe. »Ich fahre, fahre, fahre wie der Wind, im Meer will ich baden, so fahr doch geschwind!« Wir lachten und ich sang die Strophe immer wieder, ohne ein einziges Wort auszulassen.
Vater fährt mich zum Ballett ins Stadttheater, fährt mich zu Oma, nimmt mich in sein Hotelrestaurant mit, wenn er dort etwas zu erledigen hat, mir ist es egal, wohin wir fahren oder gehen, es ist nur wichtig, dass wir zusammen sind, dass ich bei ihm bin. Im Duty-free-Shop des Hotels kauft er mir eine Schokolade oder einen gegrillten Maiskolben, er reicht allen die Hand, man lächelt mir zu, ich spiele an den Apparaten, die Kleingeld auswerfen, fahre mit den Fingerkuppen über den Billardtisch, stelle mir die Abende hier vor, die Kleider und die Tänze. Es ist die letzte Unterrichtswoche und mein Papa sagt: »Wenn du ein Sonderlob bekommst, kauf ich dir ein Eis so groß wie ein Haus!« Ich halte eine Urkunde im Arm, darauf steht mein Name, ich passe auf sie auf, sie darf auf keinen Fall zu Schaden kommen. Ich warte auf den Kellner, der mir das Eis bringen soll, vier ganze Kugeln. Wir sitzen auf der Terrasse des Hotels Donau, und Papa erzählt jedem, der vorbeigeht, dass ich ein Sonderlob bekommen habe, im Zeugnis steht’s. Die Donau erstreckt sich vor uns, sie duftet, die Sonnenstrahlen brechen sich im Wasser, es werden unzählige verschiedene Grüntöne zugleich sichtbar, schon bald wird die Regatta beginnen, und hier ist der schönste Platz auf der ganzen Welt. Papa bringt mich zum Zahnarzt. Er ist so charmant und attraktiv, alle kennen ihn, und wir müssen uns nie anstellen und warten. Um die Augen herum hat er Falten, weil er so viel lacht. Am Morgen macht Mama das Frühstück, bereitet alles für unseren Schultag vor, ihren Arbeitstag, Papas Arbeitstag, sie ist in Eile, immer muss alles schnell gehen. Papa nimmt das Milchtöpfchen aus ihrer Hand, stellt es auf den Tisch und umfasst ihre beiden Hände, er will, dass sie kurz durchatmet und mit ihm tanzt. Mama versucht ihm zu entkommen, ein bisschen verärgert, ein bisschen erfreut. »Ach du! Siehst du denn nicht, was ich alles noch machen muss.« Papa trällert vor sich hin und fährt zur Arbeit. Er arbeitet immer. Mama arbeitet auch,
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