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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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der Tür steht und sich mit einem Freund unterhält. Ich sehe ihn an, mein Herz klopft wie verrückt, er ist also da, und ich bin überglücklich. Es kommt mir vor, als habe auch er mich erblickt, er rührt sich aber nicht von der Stelle, und dann sehe ich, dass die beiden sich in Richtung Bar bewegen, zwei, drei Stühle neben uns bleiben sie stehen. Jetzt dämmert es mir. Es kann gar nicht sein, dass er mich nicht bemerkt hat. Wir kennen uns also nicht mehr.
    Das hatte ich schon die ganze Zeit befürchtet. Ich habe nichts falsch gemacht, alles lief gut, und dann ging es einfach auseinander. Es war vorhersehbar, denn früher oder später passierte das immer in meinem Leben, alles ging irgendwann vorbei. Gut, die Serben haben ihr Übriges dazu getan. Aber was ist der eigentliche Grund? Kann mir das jemand verraten?
    Ivan bemerkt sofort, dass Funkstille zwischen uns ist, und sagt: »Sei doch froh, dass du den los bist, wir bestellen dir noch einen Cocktail, lass uns auf dich anstoßen!« Er lächelt, ich nicke, lächle auch und trinke das Glas aus, auf ex.
    Ich brauche frische Luft, muss rausgehen, ich möchte nicht mehr hier sein, andere Menschen interessieren mich nicht, das einzige, was mich jetzt interessiert, ist, wie ich nach Hause komme. Ich will mich endlich in mein Bett legen. Ich will nach Hause, dorthin, wo meine Mutter ist. Auf dem Weg zum Ausgang muss ich an ihm vorbei, ich sehe ihm fest und intensiv in die Augen, und er streift mich wie beiläufig mit seinem Blick, als kenne er mich gar nicht, als hätte er nicht erst wenige Tage zuvor seine Hand unter mein T-Shirt vergraben. Draußen strömt frische Luft in meine Lunge, und ich merke, dass mir schlecht ist, ich spüre den Druck auf meinen Ohren, im Hals würgt es mich. Noch nie zuvor habe ich so viel getrunken, bisher hatte ich immer nur so getan, als sei ich angeheitert, damit ich zu den Coolen gehöre. Aber jetzt bin ich offenbar richtig betrunken. Ich schwanke und schaffe es gerade noch zu der Bank, die vor der Tür steht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie lange dieser Zustand anhalten wird, aber denken kann ich überhaupt nicht mehr, in meinem Kopf dreht sich alles, und ich gäbe alles dafür, wenn ich mich übergeben könnte. In diesem Zustand kann ich jedenfalls unmöglich zurück ins Zimmer. Ich schmecke Säure in meinem Mund, sie kommt mir den Hals hoch, zieht sich wieder zurück und immer so weiter. Vielleicht kann man daran sterben, denke ich, nein, wohl eher nicht, aber es fühlt sich so an. Ich kriege mit, dass sich mir jemand nähert, kann aber nicht erkennen, wer, und als ich das Gefühl habe, dass die Person meinen Namen ruft, kann ich plötzlich nicht länger an mich halten und sehe, wie das Erbrochene sich über meine Schuhe, über die Holzbank, über meine Haare ausbreitet. Ich bin nun völlig außerstande, irgendetwas von meiner Umwelt wahrzunehmen, höre aber panische Ausrufe: »Jesus Christus, da bist du ja, wir suchen dich schon seit einer halben Stunde. Du bist ja betrunken!« Als wüsste ich das nicht selbst, würde ich Marina am liebsten entgegnen, aber ich bringe nichts über die Lippen, also starre ich sie nur an. Dann gelingt es mir endlich, ein bisschen Kraft zu schöpfen und zu murmeln: »Ich kann so nicht zu meiner Mutter.« – »Du hast dir echt die Kante gegeben«, sagt ihre ältere Schwester. Ich nicke nur bestätigend, mein Haar stinkt. Es ist ekelhaft. »Kannst du denn gehen?«, fragt Marina. Ich nicke wieder, bewege leicht den Kopf. Die beiden besprechen etwas, dann läuft Marinas Schwester zur Telefonzelle. Marina streichelt meinen Rücken, bleibt dabei aber mit ihrem Körper so weit weg von mir wie nur möglich. Mir kommt es vor, als säße ich schon ein ganzes Jahrhundert auf der Bank. Mama wird mich umbringen, denke ich. Doch mein Leben ist ohnehin ein Haufen Scheiße, deshalb ist es nicht so schlimm. Es vergeht ein weiteres Jahrhundert, da sehe ich, dass sich mir ein weißes Auto nähert. So ein Auto fährt Marinas Vater, denke ich (für diesen Gedanken scheine ich ungefähr zwanzig Jahre zu brauchen) und begreife langsam, dass sie ihn angerufen haben, damit er uns abholen kommt.
    Das erste Mal in meinem Leben wollte ich vor Scham sterben, als ich unsere Nachbarin Branka heimlich vom Balkon aus mit Erde beworfen habe und dann von ihr mit einem Erdklumpen in der Hand im Zimmer erwischt worden war. Ansonsten kannten die Leute mich eher als ein höfliches Mädchen mit tadellosem Benehmen.
    Das also ist das

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