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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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bleibst hier, stell dich vor mich hin, Vögelchen.« Er streicht mir zärtlich übers Haar und sagt, an niemanden direkt gerichtet: »Man sieht, dass sie eine von den Unsrigen ist!« Der Auslöser ist zu hören, und ich bin für die Ewigkeit festgehalten worden, wie ich vor meinem Vater stehe, in seinem Schutz, seine liebe Hand ruht auf meinem Kopf. Brüsk sehe ich die Frau hinter der Polaroidkamera an, hier kann mir keiner etwas zuleide tun. Die Fotografie ist schnell fertig, sie wird auf dem Tischchen neben dem Telefon aufgestellt und später sogar eingerahmt. Dort bleibt sie stehen, bis ein serbischer Tschetnik, kurz nachdem er Opa die Kehle durchgeschnitten hat, unser Haus stürmt und verkündet: »Ich will, dass ihr mir alle findet, die auf diesem Foto zu sehen sind. Sie sollen alle so enden wie der Opa vorhin!«
     
    Jetzt wird alles dunkel. Hierhin begebe ich mich normalerweise nicht. Ich schaffe es bis zum Abgrund, fühle den Atem des Todes, kann ihn riechen, erstarre für ein, zwei Minuten und haue dann wieder ab. Heute Abend werde ich es schaffen, ich werde in die Dunkelheit hineintreten, und wenn mich der Teufel holen sollte. Beim Näherkommen höre ich die Stimmen. »Hinlegen, sofort hinlegen habe ich gesagt! Verfickte Scheiße, ich verfluche eure verfickten Ustaša-Mütter!« Mein Vater befindet sich irgendwo in der Mitte des Raumes, sein Kopf ist im Schlamm vergraben. Er hat noch keine Angst. Er weiß nur, dass etwas zu Ende geht. Aber er weiß nicht, was es ist. Bis zum heutigen Abend hat er noch die kroatische Gardeuniform und die gelben Stiefel getragen; jetzt hat er alle Dokumente verbrannt und sich einen weißen Mantel angezogen, so wie die meisten im Krankenhaus, zumindest alle, die nicht verwundet waren. Das Rote Kreuz wird kommen. Aber es wird nichts nützen. Ihn kennen hier alle. Er ist der Chef des Hotelrestaurants, beliebt, ein Mann, der immer dort ist, wo gerade gesungen wird, und wenn er nicht der lauteste sein kann, geht er in den Tenor über und seine Halsadern fangen an zu beben. Sein ganzes Leben lang hat er den anderen immer alle möglichen Gefallen getan, und auch ihm wurde immer geholfen. Er war früher der Mann mit den meisten Freunden, heute ist er der Mann mit den wenigsten Freunden. Er hat Menschen geliebt, aber er hat Kroatien ebenso geliebt. Als es zu brodeln anfing, waren auch Oma und Opa angefacht, und es wurden alte kroatische Lieder gesungen. Papa sang natürlich mit. Es fanden Versammlungen statt, ein neuer Präsident kam an die Macht, das erste weiße Schachfeld auf der kroatischen Fahne wurde sichtbar. Das hatte einige gestört. Es hatte viele gestört, wie er mit seiner schönen Frau stolz erhobenen Hauptes durch die Stadt ging und wie ihm alle Türen geöffnet wurden. Jetzt wurde abgerechnet. Bärtige Ungeheuer. Von ihren Löchern aus behielten sie alles ganz genau im Auge, sie warteten im Untergrund, warteten auf ihren großen Moment. So, jetzt werden wir es dir heimzahlen! Er hob den Kopf aus dem Schlamm und sah in das Gesicht seines ehemaligen Arbeitskollegen, dessen hochschwangere Frau er damals mitten in der Nacht ins Krankenhaus gefahren hatte. Jetzt steht der Kollege neben irgendeinem Offizier und tut so, als habe er ihn nie zuvor gesehen. Mein Vater ist nun ein Fremder für ihn. Dann haut man ihm mit dem Gewehrkolben auf den Kopf. Man redet auf ihn ein. »Leg dich wieder hin, du elendes Stück Ustaša-Scheiße!« Lange liegen sie so auf der Erde. Es ist Winter, die Erde ist kalt, doch das merken sie gar nicht. Sie sind voller Adrenalin, und jetzt kommt die Angst dazu. Betrunkene Horden des Bösen, schmutzige, bärtige Erscheinungen. Sie posieren auf den Panzern und singen. »Es wird Fleisch geben, es wird ein schöner Braten, wir werden sie grillen, ach, wir essen sie bald, die köstlichen Kroaten.« Sie schmeißen die Leichen in die Donau, in der sie kurz vorher ihre erhitzten Jungenkörper gebadet haben. Sie sind die Boten der Hölle, sie ähneln den Menschen nur bis zu einem gewissen Grad, sie haben zwar Hände und Beine, aber sie benutzen diese nur, um zu töten, um Menschenkehlen durchzuschneiden, um zu vergewaltigen. Man weiß nicht, woher sie kommen, manche von ihnen ähneln einstigen Nachbarn, Leuten, die uns einst zu ihren Festen einluden. Sie lachen und entblößen ihre kaputten Zähne, grüßen einander, triumphieren über den Verstümmelten, trinken zusammen einen Schnaps nach dem anderen. Auch Frauen sind unter ihnen. Wie kann das sein? Wie sind

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