Hotel Nirgendwo - Roman
ausbrach. Ich mag Menschen, die den Krieg miterlebt haben, sie sind mir gleich sympathisch, sollen sie mir also so nahe kommen wie nur möglich. Wir verstehen uns gut. Er heißt Dražen, er kann es nicht glauben, dass ich so jung bin, ich würde viel älter aussehen, sagt er und zieht dabei an einer scheußlich riechenden selbstgedrehten Zigarette. Meine Erfahrung sagt mir, dass das Gras sein könnte. Hoffentlich erwischt ihn niemand. Als ich ihm erzähle, sie hätten mir im Wohnheim den Spitznamen Baby verpasst, bekommt er einen Lachanfall. Wir küssen uns. Dražen liegt auf mir. Er knöpft meine Hose auf. Er fährt mit seiner Hand in meine Hose, und ich bekomme kaum Luft, weiß nicht, was ich tun soll. »Was bist du denn so steif«, sagt er, »ich streichle dich hier die ganze Zeit, ich will auch mal angefasst werden.« Ich schiebe meine Hand unter sein Shirt und lasse sie rauf- und runtergleiten, ich schäme mich, irgendeinen anderen Teil seines Körpers zu berühren. Ich bin nicht mehr so aufgeregt, ich möchte nur, dass er von mir heruntergeht, ich möchte gehen, aber es kommt mir bescheuert vor, irgendetwas zu sagen. Er atmet immer heftiger, etwas geschieht, aber ich habe keine Ahnung, was, ich weiß im Grunde noch gar nichts darüber – und dann kommt es plötzlich aus mir herausgeschossen. »Stopp! Hör auf!« – »Was ist los, was schiebst du denn für eine Panik?« Dražen weicht von mir zurück. – »Nichts, ich muss nur weg«, sage ich und knöpfe mir die Hose zu. Ich bin schon an der Tür, da sagt er: »Es ist erst kurz nach Mitternacht.« Plötzlich schrillen in meinem Kopf alle Alarmglocken, um Mitternacht schließt mein Wohnheim, und ich weiß nicht einmal, wo ich gerade bin, wie ich hier wegkomme, welches Stockwerk das hier ist. Ich irre in den dunklen Fluren umher und habe das Gefühl, losheulen zu müssen, weil ich überhaupt mitgegangen bin. Endlich gelingt es mir, die Treppen zu finden, ich renne vom ersten Stock so schnell ich nur kann nach draußen, und da stehe ich auch schon auf der Straße. Ich beeile mich, vielleicht habe ich Glück und der Erzieher, der heute Nachtdienst hat, ist noch nicht gekommen und hat noch nicht abgeschlossen, oder aber, er weiß genau, dass gerade eine Party stattfindet und hat gerade deshalb zeitig abgeschlossen. Ich stehe vor der Tür und sehe das Gitter. Ich kann es nicht glauben. Mir kommen die Tränen, ich bringe keinen Ton hervor und habe das Gefühl zu ersticken. Ich werde die ganze Nacht draußen bleiben müssen. Wenn ich klingele, werden sie am nächsten Tag sofort Mama anrufen, um ihr mitzuteilen, dass ich nicht rechtzeitig ins Heim zurückgekommen bin. Wenn ich draußen bleibe, gibt es noch die Hoffnung, die sehr kleine Hoffnung, dass meine Abwesenheit niemandem auffällt. Aber wo soll ich hingehen, was soll ich die ganze Nacht draußen machen? Ich könnte zum Jungenwohnheim zurückgehen, die Tür dort ist noch offen. Ich könnte mich auch vor die Straßenbahn werfen. Es sind noch mindestens sechs Stunden, ich bekomme bestimmt eine Lungenentzündung. Ich habe Angst, mich auch nur einen Schritt zu entfernen. Man könnte mich ausrauben. In dieser Stadt leben schließlich Leute, die noch verzweifelter sind als ich. Ich bin ein Dummkopf. Ich nehme meinen Stoffrucksack vom Rücken und lege ihn auf die Steintreppen. Hier werde ich sitzen und warten, die Nacht überleben. Das müsste mir doch irgendwie gelingen. Das müsste doch zu schaffen sein, diese eine Nacht. Sechs Stunden und dann ins warme Bett. Der Gedanke daran, dass der Unterricht erst am Nachmittag beginnt, wärmt mich wie ein Sonnenstrahl. Und bis dahin stecke ich beide Hände in die Ärmel.
Um sechs Uhr morgens steht endlich der Nachtwächter an der Tür und macht sie auf. Ich warte noch einen Moment, bis er in seinem Zimmerchen verschwunden ist, wo er üblicherweise immer seine morgendliche Zigarette raucht. Noch kann ich es nicht fassen, dass ich ungestraft und unbemerkt davongekommen bin. Wenn es mir jetzt nur noch gelingen würde, meine Füße aufzuwärmen und mit dem Zittern aufzuhören. Ich glaube, dafür werde ich mindestens an die drei Tage brauchen. Wie schön es ist, ein Bett zu haben. Endlich liege ich darin. Alle anderen im Zimmer schlafen noch. Jemand hat die Decken auf meinem Bett zusammengerollt und ein Laken drübergelegt, das kann nur Ivanas Werk sein, schießt es mir durch den Kopf, damit die Erzieherinnen, falls sie durch die Zimmer gehen, denken, ich würde schlafen.
Ich
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