Hotel Nirgendwo - Roman
willst du hin, wie sollen die uns denn helfen?« Er antwortet nicht, also folgen wir ihm einfach. Er verlangt den Baustellenleiter, der ein freundlicher Mann ist. Mein Bruder erklärt ihm unsere Lage, der Baustellenleiter weiß nicht, ob er uns helfen kann, will sich aber gerne die Pläne anschauen, vielleicht ist dort etwas vermerkt. »Aha«, er scheint etwas entdeckt zu haben. Wir schauen ihn ungeduldig an und warten, dass er uns endlich das Geheimnis mitteilt, denn er hält unser ganzes Glück in seinen Händen. »Sehen Sie«, sagt er, »Sie haben die Wohnung Nummer 28 zugeteilt bekommen, aber hier ist sie durchgestrichen, man hat sie mit der Nummer 26 getauscht. Unser Elektromeister hat eine Tochter, die unbedingt hier in diesem Gebäude eine Wohnung haben wollte, die 28 hat ihr am besten gefallen, also hat sie die Wohnung bekommen. Die andere ist nur zwei Quadratmeter kleiner, wenn Sie wollen, können Sie gerne mal reinschauen.« Wir eilen sofort los, wir haben die Wohnung also doch bekommen, es war nicht alles nur ein Traum. Macht nichts, soll die Tochter sich doch nehmen, was sie will, Hauptsache, sie lässt etwas für uns übrig. Nachdem wir so lange gewartet haben, wären wir mit allem einverstanden gewesen. Wir sind damit einverstanden, dass sich jemand ein Recht herausnimmt, das ihm gar nicht zusteht, wir sind damit einverstanden, dass wir lediglich irgendwelche Vertriebenen sind, denen die Wohnung ohnehin geschenkt wird, also muss ihnen auch die kleinere gut genug sein, wir sind damit einverstanden, dass die Welt so läuft, wir sind mit allem einverstanden, wenn wir nur endlich ein Zuhause kriegen. Dass wir nicht einverstanden hätten sein sollen und auch nicht einverstanden sein müssen, das wird uns erst später klarwerden.
*
Helligkeit. Als erstes strahlt mich die unglaubliche Helligkeit frisch gestrichener Wände an. Neue Räume, in denen noch niemand ein Wort gesprochen hat. Die Wände sind unschuldig, hier haben noch keine Streitigkeiten stattgefunden, niemand hat hier im Badezimmer geweint, niemand hat hier gelacht. Aufmerksam inspizieren wir Raum für Raum, wir gehen über das Parkett, als gehöre es nicht uns, wir diskutieren, wer in welches Zimmer ziehen wird, aber es klingt wie eine der Geschichten, die wir uns gegen die Hoffnungslosigkeit erzählten. Wenn wir einmal eine Wohnung haben, dann … »Das ist dein Zimmer«, sagt Mama. Ungläubig sehe ich sie an, ich betrete das Zimmer und mache die Tür hinter mir zu. Ich bin allein darin. Hierher werde ich einmal meinen Freund mitbringen. Hier wird einmal eine Freundin übernachten. Dort werde ich meinen Kassettenrecorder hinstellen. »Los, wir gehen wieder«, mein Bruder klopft an die Tür. Von jetzt an wird jeder klopfen müssen. Ich würde am liebsten den ganzen Tag hierbleiben, aber ich habe nichts mit, unsere Sachen sind noch nicht da. Wir haben alles gesehen, nun müssen wir in unser Hotelzimmerchen zurück, um unser Hab und Gut in große rote Plastiksäcke zu packen. Hoffentlich schleppen wir hier nicht das Ungeziefer mit herein, dieser Gedanke beschäftigt mich nun schon seit einer Weile. Wir sehen uns alle Kleidungsstücke genau an und blasen in die Säcke hinein, um sicherzugehen, dass sie kein Loch haben, wir können nicht aufhören uns vorzustellen, wie sie irgendwo hineinkriechen oder ihre Eier hinterlassen. Braune Kakerlaken. Es heißt, sie gehören zu der ältesten Insektengruppe, es wurden Fossilien von prähistorischen Kakerlaken gefunden, die mindestens 200 Millionen Jahre alt sind. Sie haben es geschafft, bis heute zu überleben, weil sie die Fähigkeit entwickelt haben, sich an die unterschiedlichsten Umgebungen anzupassen. Sie ernähren sich von Müll und allen möglichen Resten, ganz offensichtlich lieben sie Süßes. Sie essen auch Verwestes. Zudem tragen sie oft Parasiten in sich und vergiften das Essen. Sie sondern einen Gestank ab, der auf der Nahrung und allen Gegenständen, mit denen sie in Berührung kommen, haften bleibt. Tagsüber verstecken sie sich in irgendwelchen Ritzen und nachts gehen sie aus. Ihr ovaler, flacher Körper ermöglicht es ihnen, engste Öffnungen zu passieren, auf der Suche nach Nahrung oder auf der Flucht vor einer Gefahr. Die Weibchen legen ihre Eier ab, aus denen langsam die Larven herauskriechen, die im Laufe der Metamorphose zu erwachsenen Kakerlaken heranwachsen. Und dann geht das Ganze wieder von vorne los.
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Jetzt geschieht alles wie in einem Taumel. Es zählt nur eins,
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