Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
Vom Netzwerk:
nämlich der Umzug. Nachdem wir die Möbel gekauft haben, wird es eine Weile dauern, bis sie geliefert werden, und es ist noch jede Menge zu tun. Mama wird bei Onkel Grgo kündigen. Das hat sie uns letzte Woche erzählt, gleich nachdem wir uns die Wohnung angesehen haben. Der Laden ist zu weit weg und es ist kompliziert hinzukommen, sie müsste zweimal den Bus wechseln und dann noch die Straßenbahn nehmen. Außerdem haben wir jetzt auch ein bisschen mehr Geld als früher, sodass wir auf diese Arbeit, die zwei, drei Tageslöhne, verzichten können. Mama will sich ganz um die Wohnung kümmern. Sie scherzt, sie hätte inzwischen sicher das Kochen verlernt. In letzter Zeit hat es Onkel Grgo mit dem Trinken übertrieben, er fängt sie immer nach der Arbeit ab, spricht mal über Papa, mal über Diebe, aber manchmal stellt er ihr auch Fragen: »Wie hältst du es über all diese Jahre hinweg alleine aus? Wie schaffst du das bloß? Fehlt es dir denn nicht, jemanden außer deinen Kindern an deiner Seite zu haben?« In der Regel fängt er damit an, wenn er schon ein paar Gläser Whisky intus hat, und Mama gibt ihm immer die gleiche Antwort auf seine Fragen oder antwortet überhaupt nicht. »Es gibt niemanden, der ihn ersetzen könnte. Und wenn es schon ihr Vater nicht kann, soll es niemand anders geben, der meinen Kindern sagt, wie sie zu leben haben.« Er sagt dann: »Weißt du, es gibt auch gute Männer.« Weiter geht er allerdings nicht, sondern schweigt nur. Früher hat er manchmal Späße gemacht, er hat immer mit mir gescherzt, aber als ich ihn das letzte Mal sah, war er ganz ernst. Ich war gerade auf dem Weg zur Schule und lief durch den Park. Ich war ihm über ein Jahr nicht mehr begegnet, erkannte ihn aber sofort, er saß auf der Bank und las Zeitung. »Guten Tag, was machen Sie denn hier?« Ich freute mich, ihn zu sehen, und auch er schien überrascht. »Hey, Kleine, das bist ja du. Ich warte auf meine Frau, sie ist zur Elternsprechstunde unserer Tochter unterwegs, und ich schlage mir hier die Zeit tot. Und, was macht die Schule?« – »Es geht so«, antwortete ich knapp, ich konnte nicht flunkern, denn er war sicher ohnehin auf dem Laufenden, seine Adoptivtochter ging nämlich in meine Klasse. »Na, mach dir mal keine Sorgen«, sagte er. »Alles geht eines Tages vorbei, du musst dich erst noch einleben, ich weiß doch, wie langweilig die Schule ist. Deinen Vater haben sie in der Schule Faulpelz genannt, kannst dir ja denken, wie er damals drauf war, und trotzdem war er immer der Klassenbeste.« Wir sind Freunde, das fühle ich schon die ganze Zeit, und es tut mir leid, dass ich weiter muss, denn am liebsten hätte ich mich zu ihm gesetzt und ihm den ganzen Nachmittag lang zugehört. »Grüß deine Mama«, ruft er mir hinterher. Das war das letzte Mal, dass ich mit ihm gesprochen habe. Und dann, der Schock. Mama hat bei ihm im Büro angerufen. Erst klingelte es lange, dann nahm Mladen ab, Onkel Grgos Kollege. Mama hat ihm fröhlich die Neuigkeit verkündet, und er hat ihr knapp gratuliert. Schweigen. »Was ist denn passiert?«, fragt Mama. – »Hör mal, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll: Grgo hat sich das Leben genommen.« Mama setzt sich aufs Bett und wird immer kleiner. »Wie denn?«, flüstert sie. – »Er hat sich erhängt. Seine Schwester hat ihn gefunden. Wir können es auch alle nicht glauben. Es stimmt schon, er hat in letzter Zeit wirklich viel getrunken und erzählte ständig, dass er nicht dort war, wo er hätte sein sollen, dass er niemanden hat, dass alle unter der Erde liegen. Aber weißt du, betrunkene Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Niemand konnte sich so etwas vorstellen … Die Beerdigung wird am Freitag stattfinden, auf dem Mirogoj … Machen Sie es gut und Glückwunsch nochmals.« Mama weint. Sie weint so laut, dass wir kaum verstehen können, was passiert ist. Er war der einzige, der für uns da war, er hat einen Teil von Papa für uns am Leben erhalten. Noch ein Mensch weniger, der ihn geliebt hat. Das war das einzige, was uns für einen Moment die neue Wohnung vergessen ließ.
     
    *
     
    Seine Adoptivtochter ist schon seit zwei Tagen nicht mehr in der Schule aufgetaucht. Die Klassenlehrerin hat uns mitgeteilt, dass ihr Vormund gestorben ist, und sie hat von uns verlangt, dass wir vorsichtig mit ihr umgehen, wenn sie wieder da ist. Man hätte meinen können, unsere Klassenlehrerin hätte ein Herz, aber ich weiß, dass sie keins hat, wahrscheinlich hat sie nur irgendwo

Weitere Kostenlose Bücher