Hotel Pastis
das Flugzeug setzte zum Landeanflug an. Mit geschäftsmäßig fröhlicher Stimme verkündete der Pilot, daß es in London regnete.
Es war fast elf, bis Simon den Zoll hinter sich gebracht hatte. Die Ankunftshalle war vom Reinigungspersonal in Beschlag genommen, das mit jener vorsätzlichen Langsamkeit zu Werke ging, wie sie für Überstundenarbeiter typisch ist. Eine große Gestalt mit schwarzem Hut und in einem langen schwarzen Regenmantel beobachtete die herauskommenden Passagiere und kam entschlossenen Schritts auf Simon zu. »Willkommen in Heathrow, mein Lieber. Ist es nicht wunderbar zu dieser nächtlichen Stunde?«
Simon lachte. »Mit dem Hut habe ich Sie erst gar nicht erkannt, Ern. Wie geht’s?«
»Ich trotze den Wellen wie ein spielender Delphin. Sie werden es ja sehen, wenn Sie hinauskommen. Die Regenzeit ist gekommen.«
Während Ernest den großen Mercedes durch den Regen auf das Zentrum von London zu steuerte, gab er Simon eine von persönlichen Kommentaren begleitete Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse in der Agentur. Jordan und David Fry redeten nicht mehr miteinander. Die Gummibarone waren noch immer nicht zu einer Entscheidung gelangt. Die Fachpresse hatte über Trennungsgerüchte berichtet, und Liz ging in letzter Zeit mit einem unerwünschten jungen Mann aus, der einen Ohrring trug und Rennautos fuhr. Abgesehen davon gab es einige Wohnungen zu besichtigen, wenn Simon sich demnächst die Zeit dafür nehmen könne, und in der Küche in Rutland Gate wartete ein Ein topf auf ihn, der nur noch aufgewärmt werden müsse.
»Und wie war es in New York? Ist unser Mr. Ziegler noch immer so reizend und bescheiden?«
»Wir haben den Auftrag bekommen«, erwiderte Simon, »also ist er sehr zufrieden mit sich. Es wird Sie sicher interessieren, daß er mittlerweile rote Hosenträger trägt.«
Ernest rümpfte mißbilligend die Nase. Er und Ziegler hatten sich vom ersten Augenblick an nicht ausstehen können. »Und hoffentlich auch einen Gürtel. Allein die Vorstellung, wie dieser Mann aussieht, wenn er seine Hosen verliert, läßt einem das Blut in den Adern gerinnen.«
Der Wagen bog in die Rutland Gate ein und hielt vor der Wohnung.
» Home sweet home«, meinte Ernest. »So ist es nun mal. Lassen Sie den Kopf nicht hängen. Das Haus, das ich in Wilton Crescent gesehen habe, hat echte Qualitäten.«
Sie wünschten sich eine gute Nacht, und Simon sperrte die Tür auf. Seine Taschen ließ er im Flur stehen und ging durch das Wohnzimmer, wobei ihm der stickige, sterile Geruch nach Zentralheizung und warmen Teppichen in die Nase stieg. Es roch wie in einem Hotelzimmer. Er sah einen Stapel CD’s durch, bis er auf Errol Garners Concert by the Sea stieß, goß sich ein Glas Whisky ein, zündete eine Zigarre an und drückte sich vor dem Augenblick, da er sich der Mappe mit den Unterlagen zuwenden mußte, die Liz ihm dagelassen hatte. Manchmal hatte er das Gefühl, er würde eines Tages begraben werden unter einem Berg von Aktennotizen, Kontaktberichten, Strategiepapieren, Finanzierungsplänen, Personalakten, dem ganzen dicken Brei der Firma. Mit einem Seufzer schlug er die Mappe auf. Er stieß zuerst auf einen Zeitungsausschnitt aus Campaign, der Zeitschrift der Werbebranche. Unter der Rubrik >Hotline<, jener Sparte mit den haarsträubendsten Gerüchten der Woche, stand zu lesen, eine Reihe von Angestellten in Schlüsselpositionen trage sich mit dem Gedanken, ihre Agentur zu verlassen und einen bedeutendem Kundenkreis mitzunehmen. Namen wurden nicht genannt, und der Bericht entbehrte jeglicher inhaltlicher Grundlage. Er endete mit dem altbewährten Standardsatz: »Die Geschäftsleitung hat sich bislang nicht dazu geäußert.« Simon fragte sich, ob die Reporter überhaupt versucht hatten, mit der Geschäftsleitung Kontakt aufzunehmen.
Er arbeitete sich weiter durch die Unterlagen und notierte sich, bei wem er vormittags einen Pflichtanruf machen mußte, als er einen Umschlag entdeckte, der aussah, als sei eine aufgeregte Spinne mit Tinte an den Beinen darüber gekrochen. Da erkannte er das Gekritzel und zuckte zusammen. Offenbar war Onkel William mal wieder abgebrannt.
Mein liebster Junge,
verzeih, daß ich Dich in Deinen olympischen Gedankengängen störe, doch durch äußerst widrige Umstände, die ich mir nicht selbst zuzuschreiben habe, befinde ich mich im zähen Ringen ums nackte Überleben...
Simon schüttelte den Kopf und seufzte. Onkel William, ein Künstler und alternder
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