Hotel Pastis
Schürzenjäger, trat zwar selten in Simons Leben, doch wenn, dann war es immer mit Kosten verbunden. Mit der ungebrochenen Vitalität eines Mannes von höchstens halb so vielen Lebensjahren, wie er tatsächlich auf dem Buckel hatte, kniff er Frauen in den Po und ließ, die Geldverlegenheit in Person, Schecks platzen. Mit einigen Schwierigkeiten war es Simon schließlich gelungen, ihn von London fernzuhalten und sich durch Bestechungen eine gewisse Distanz zu erkaufen. Nicht einmal Ernest kannte ihn, und Caroline hatte nie auch nur von seiner Existenz erfahren. Wenn Simon Schuldgefühle plagten, dann unterdrückte er sie mit dem Gedanken daran, welches gesellschaftliche Blutbad Onkel William anrichten würde, falls man ihn aus Norfolk entkommen ließ. Simon kramte in seinem Aktenkoffer nach dem Scheckheft.
Noch ein Umschlag, diesmal mit einer zierlichen, unbekannten Handschrift.
Lieber Simon,
Un grand merci für das Dinner. Ich hoffe, New York war nicht so schrecklich, wie Du es Dir vorgestellt hast.
Ich reise morgen wieder in die Provence zurück, und vielleicht bekomme ich ein wenig Sonne nach drei Tagen wie dne nasse Ratte im Regen. Wie kannst Du das Wetter nur aushalten?
Ich habe eine kleine Idee für Dich, aber mein Schreib-Englisch ist nicht so gut. Es ist besser, wenn wir reden.
Bisous,
Nicole
Simon sah auf seine Uhr. Eins in London, zwei in Frankreich. Er würde sie am Morgen gleich als erstes anrufen. Das war wenigstens eine angenehme Unterhaltung, bevor er sich mit Geschäftlichem herumschlagen mußte. Er stand auf und genehmigte sich noch einen Whisky.
Bisous. Das gefiel ihm. Küsse. Er ging die restlichen Papiere durch — ein Brief von Carolines Anwalt, ein Lagebericht über neue Geschäftsinteressenten, die Bitte eines Kunden, an einem >Think-Tank< teilzunehmen, um den Markt für Tiefkühlgeflügel zu erforschen. Das war etwas, was seine Phantasie anstachelte. Er gähnte und ging zu Bett.
9
S imons Telefonat mit Nicole war kurz und verlockend gewesen. Sie hatte eine Idee, weigerte sich aber, nähere Fragen zu beantworten. Du mußt es dir selbst ansehen, hatte sie gesagt. Warum kommst du nicht her? Im frühen Morgennebel hatte er, völlig aus dem Rhythmus gebracht durch die Zeitverschiebung, plötzlich festgestellt, daß Samstag war. Zwei Stunden später saß er in einem Taxi nach Heathrow.
Er holte sein Ticket am Schalter ab, ging durch den Duty-free-Bereich und schlängelte sich an kleinen, entschlossenen Japanerinnen vorbei, die die Whiskyregale leerräumten. Welche Zigarettenmarke rauchte Nicole? Welches Parfüm benutzte sie? Als der letzte Aufruf für seinen Flug ertönte, begnügte er sich schließlich mit zwei Flaschen Dom Perignon. Sie war bestimmt ein Champagnermädchen, dachte er, — wie jedes gute Mädchen — , und er fragte sich, was sie da wohl aufgetan hatte, das man am Telefon nicht erklären konnte. Doch was immer es auch sein mochte, es war sicher interessanter als seine gewöhnlichen Samstage, die er meist allein im Büro verbrachte. Er genoß es, einmal den Faulenzer zu spielen und sich heimlich davonzustehlen und Urlaub zu machen.
Das Flugzeug durchstieß die Wolkendecke, die fast ständig über Heathrow liegt, und beim Anblick des blauen Himmels geriet er in eine beinahe euphorische Stimmung. Auf den Sitzen hinter ihm besprachen ein paar Franzosen die Vorzüge von Harrods und Marks and Spencer und verglichen die Preise für Kaschmirpullover und die Qualität der Londoner Restaurants. Er freute sich auf das Abendessen, ein langes, ruhiges Abendessen, Sternstunden entfernt von allen, die ihn kannten. Er fühlte sich ausgesprochen wohl bei seiner Flucht.
Simon war noch nie mit einem Flugzeug in Marseille gelandet. Er kam sich beinahe vor wie in Nordafrika — spindeldürre, dunkelhäutige Männer mit ihren rundlichen Frauen und dicken Kunststoffkoffern, arabische Kehllaute, der Geruch von schwarzem Tabak und Schweiß, gemischt mit dem stechenden Geruch von süßlichem Toilettenwasser, Flugaufrufe nach Oran und Dschibuti. Kaum zu glauben, daß er nur zwei Stunden von London entfernt war.
Nicoles blonder Schopf stach aus dem Meer dunkelhäutiger Gesichter hervor. Sie trug dem Mittelmeerwinter entsprechend eine hellgraue Flanellhose und einen dunkelblauen Pullover, ihre Haut hatte noch einen zarten honigfarbenen Schimmer von der Sonnenbräune.
» Bonjour, Mr. Shaw.« Sie hielt ihm das Gesicht entgegen, und er küßte sie zweimal.
Simon
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