Hotel Pastis
Startposition, und Simon öffnete den Aktenordner, den Liz ihm kurz vor seiner Abreise noch in die Hand gedrückt hatte — Zeitungsausschnitte, ein kurzer Lebenslauf und ein Schwarzweißporträt. Das Material war auf Simons Bitte zusammengestellt worden, nachdem er mit Nicole gesprochen hatte. Es handelte sich um eine kurze Einführung in das Leben und die Arbeit von Ambrose Crouch.
Simon überflog den Lebenslauf. Eine unbedeutende Privatschule, ein durchschnittliches Studium an der Universität, eine Reihe von Jobs als Publizist und Journalist, zwei Romane, die nicht wieder aufgelegt worden waren. Erfolg war Mr. Crouch nie beschieden gewesen, und das sah man seinem Gesicht an — das Gesicht eines Mannes in mittlerem Alter, leicht aufgedunsen, mit schmalen Lippen und unfreundlichen Augen; ein unzufriedenes, streitsüchtiges Gesicht.
Die Artikel, eine Auswahl jüngerer Kolumnen aus dem Sunday Globe, strotzten vor Gehässigkeit, die sich unter dem Deckmäntelchen der Sorge um die Umwelt verbarg. Allem Anschein nach war Crouch gegen alles, was moderner als ein Esel war. Von seinem mittelalterlichen Refugium in der Provence blickte er voller Entsetzen auf Supermärkte, Hochgeschwindigkeitszüge, autoroutes und Grundstücksbebauungen. Jeglicher Fortschritt war ihm zuwider, und der Tourismus veranlaßte ihn zu wütenden Kommentaren. Mit globalem Fremdenhaß fiel er über alle — Holländer, Schweizer, Deutsche und Briten — her, die es wagten, »sein« Dorf zu besuchen, wetterte gegen ihre protzigen Autos und ihre ordinäre, auffällige Kleidung. Überhaupt war »ordinär« ein Wort, das sehr häufig in seinen Artikeln vorkam.
Simon überflog das letzte Blatt im Ordner — Statistiken über die Leserschaft und die Anzeigeneinnahmen des Globe — , und er fragte sich, um was für Leute es sich wohl bei Crouchs Anhängerschaft handelte. Doch so sehr seine Arbeiten auch von Boshaftigkeit und Snobismus strotzten, so sicher war, daß er schreiben konnte. Und sicher war auch, daß er das Hotel unweigerlich als Zielscheibe für seine Gehässigkeiten betrachten würde. Die Neugier würde ihn dazu treiben, bei der Party zu erscheinen, und dann würde sehr bald eine bissige Glosse folgen. Ein Problem, mit dem Simon nicht gerechnet hatte. Wie hätte er auch wissen sollen, daß direkt vor seiner Haustür ein bösartiger Journalist lebte? Während Simon noch einmal die Auflagenzahlen durchsah, nahm in seinem Kopf eine Idee Gestalt an.
»Noch ein wenig Champagner, Mr. Shaw?« Das Mädchen füllte sein Glas nach. »Noch zwanzig Minuten, dann sind wir da.« Simon lächelte dankbar, schloß den Aktendeckel und versuchte, Crouch zu vergessen. Er würde Weihnachten in der Provence verbringen, Weihnachten mit Nicole. Er spürte, wie der Champagner auf seiner Zunge prickelte, und sah aus dem Fenster auf die rosa- und mauvefarbene Glut, die die untergehende Sonne hinterließ.
Das Flugzeug setzte auf, bog von der Landebahn ab und rollte zu einem Haltepunkt hundert Meter vom Terminal entfernt. Der Flug war das reinste Vergnügen gewesen; nicht gerade ein Sonderangebot bei einem Preis, der mehr als viertausend Pfund über dem normalen Preis für die Economy-Klasse lag, aber eine passende Art, eine Karriere zu beenden, die weitgehend durch Ausgaben geprägt gewesen war, dachte Simon. Suchend sah er sich nach jemandem um, der seinen Paß zu sehen wünschte, aber der Einreiseschalter war leer, der ganze Ankunftsbereich lag verlassen da. Er zuckte die Achseln und ging durch die Schranke, hinter der Nicole auf ihn wartete. Sein Herz schlug schneller, als sie auf ihn zulief. Ihr Mantel schwang um ihre Beine, und Simon spürte das strahlende Lächeln in ihrem Gesicht förmlich in der Magengrube. Er beugte sich zu ihr hinunter und küßte sie auf die Halsbeuge. Dann trat er einen Schritt zurück, um sie zu begutachten.
»Du bist viel zu schick, um am Flughafen herumzuhängen und auf einen arbeitslosen Geschäftsführer zu warten.« Mit einem Grinsen auf den Lippen berührte er ihre Wange. »Ich bin sicher, du hast in Avignon mit deinem älteren Geliebten zu Mittag gegessen.«
Nicole rückte seinen Schlips zurecht und zwinkerte ihm zu. »Natürlich. Er hat mir Diamanten und seidene Unterwäsche gekauft.«
»Ich habe etwas geräucherten Lachs mitgebracht«, meinte Simon. »Tut es das auch?«
Während sie zur Gepäckabholung hinübergingen, legte Simon den Arm um ihre Schulter, so daß er ihre sanften Hüftbewegungen an seinem Oberschenkel
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