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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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Sympathisanten überrannt, wir haben Verstärkung aus Paris angefordert. Und diese Hitze!«
    »Hatte mein Onkel eine Adresse von jemandem hier in Paris bei sich, etwa die seines Anwalts?«
    »Dann hätten wir auch dort angerufen und nicht nur bei Ihnen in Deutschland.«
    »Haben Sie von einer Frau namens Ziba gehört? Allerdings kenne ich ihren Nachnamen nicht.«
    Sie blickt zu dem Porträt der Frau. Als fühle sie sich von ihr beobachtet.
    »Ziba, ein iranischer Name, wie kommen Sie darauf?«
    »Nur so, mein Onkel war Schriftsteller, in seinem Tagebuch taucht dieser Name auf.«
    Sie ist unzufrieden, dass sich diese Polizei nicht richtig um den Fall kümmert. Auch von ihrem Besuch in seiner Wohnung hatte sie sich mehr erhofft. Jedenfalls war es nicht die Absage des Verlegers, derentwegen sich ihr Onkel erschossen hat. Diese einfache Erklärung fällt weg.
    Ihr graut vor der Nacht in seiner Wohnung. Sie entscheidet sich, auf dem Sofa im Arbeitszimmer zu übernachten, der Gedanke, in seinem Bett zu schlafen, ist ihr unheimlich, und in dem kleinen Zimmer am Ende des Gangs herrscht eine seltsame Unordnung.

6.
    Immer wieder steht Theo vor derselben Frage: warum nur, warum? Jeder findet eine andere Antwort, am Ende aber läuft es auf dasselbe hinaus: der Wahnsinn und die verzehrende Dunkelheit, die sich dahinter verbirgt. Zum Alleinsein verdammt, hat sich die Schlinge enger und enger um Vincent zusammengezogen. Früher oder später musste ihm die Luft ausgehen.
    Aber Vincent war nicht wahnsinnig, ganz im Gegenteil! Feinfühlig hat er die Entwicklungen der Zeit und ihre tiefen gesellschaftsverändernden Auswirkungen mit wachem Bewusstsein verfolgt. Als Außenseiter und Weltverbesserer kämpfte er gegen die engstirnigen und unnachgiebigen Beschränkungen um sich. Dabei wusste er besser als jeder andere, dass sich zu seinen Lebzeiten niemand für seine Bilder interessieren würde. An diesem einsamen Kampf ist er zugrunde gegangen.
    So ist es geschehen. Er lebte einzig und allein für die Kunst. Bis er sich bis aufs Letzte aufgebraucht hatte.
    Aber Vincent war nie allein! Theo stand ihm bedingungslos zur Seite, seit Vincent sich mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit der Kunst verschrieben hatte. Zehn Jahre lang, jeden Monat 150 Francs, komme, was wolle, gelegentlich mehr, aber niemals weniger. Gleichgültig, welchen materiellen Schwierigkeiten sich Theo selbst ausgesetzt sah. Ihre brüderliche Vereinbarung widerstand den Wirren der Zeit ebenso wie allen Streitigkeiten, die es unweigerlich auch zwischen ihnen gegeben hat.
    Sein Abenteuer mit der Kunst war ein einziges Risiko. Aber Vincent hat nie ein Risiko gescheut. Im Ringen um die künstlerische Anerkennung erduldete er die erniedrigendsten Demütigungen. Jedoch hat ihm sein Sendungsbewusstsein über jede noch so ausweglos erscheinende Situation hinweggeholfen. Deswegen hätte ihn auch nicht die finanzielle Unsicherheit, die ein Ausscheiden Theos aus der Kunsthandlung für ihn bedeutet hätte, zum Äußersten getrieben. Darum ging es nicht. Er hatte in seinem Leben Schwierigeres gemeistert.
    Mit Geld lässt sich nichts erklären.
    Und auch nicht mit Wahnsinn. Vincent war bei seinem verzweifelten Schritt klar im Kopf, klar wie der nachtblaue Himmel, den er über alles liebte. Der wirkliche Grund war, dass seiner Empfindsamkeit, seinem Scharfsinn nichts entging.
    Und Vincent hatte erkannt, dass Theo, von dem er in vielfacher Weise abhing, unaufhaltsam einem Abgrund entgegentrieb. Es ging nicht um seinen eigenen Wahnsinn, mit dem er zu leben gelernt hatte, außerdem befand er sich ja in der Obhut von Dr. Gachet. Es ging um Theos Wahnsinn. Die Krankheit seines Kindes oder die gelegentlichen Schwächen von Johanna, damit konnten die Ärzte fertigwerden. Natürlich war es ein Verhängnis, dass all diese Probleme gleichzeitig zusammentrafen. Doch auf Theos Krankheit fehlte den Ärzten die Antwort.
    Und es war ja nicht, als ob Vincent seinen Bruder nicht gewarnt hätte: Ich fühle, wie der Sturm sich auf mich herabsenkt, der dich bedroht , hatte er ihm vor kurzem geschrieben. Es ging um den Sturm, der sich um Theo zusammenbraute, der ihre Einheit sprengen würde und ihm, Vincent, letztlich keinen anderen Ausweg ließ.
    Vincent war der Einzige, der Theos Angst um sich selbst und die Unentrinnbarkeit seiner Situation erkannt hatte. Er verstand, die Zeichen zu lesen. Die gesundheitliche Anfälligkeit von Theo, die Müdigkeit seiner Bewegungen, die blasse Hautfarbe, die wässrigen,

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