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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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Sie von mir?«
    »Es geht um einige Änderungen und Kürzungen, die ich bereits hier drin markiert habe.«
    Sie hebt das Manuskript vor sich hoch, wie um ihre Aussage zu bekräftigen. »Wir müssen das Manuskript in der nächsten, spätestens übernächsten Woche druckreif bekommen.« Sabine fallen die abgenagten Fingernägel auf. Das soll ich lesen? Wo ich doch kaum je einen Roman in die Hand nehme! Angesichts des dicken Papierstapels schüttelt sie zweifelnd den Kopf.
    »Ich komme in meiner Anwaltskanzlei mit der Arbeit nicht nach!«
    »Im Urlaub haben Sie doch Zeit! Autoren arbeiten auch an ihrem Urlaubsort. Und mit dem Stoff sind Sie vertraut, nehme ich an?«
    »Nicht im Geringsten, ich kenne ja kaum den Autor. Als ich ihn vor drei Tagen tot in Auvers liegen sah, war er für mich wie ein Fremder.«
    »Dann lernen Sie ihn auf diese Weise wieder kennen. Übrigens, die Geschichte spielt im Jahr 1965, sie trägt anscheinend autobiografische Züge, also Ihr Onkel von damals, den sollten Sie wohl wiedererkennen.«
    »Da war ich gerade geboren! Verstehen Sie denn nicht, dass mich nichts mit ihm verbindet?«
    In diesem Augenblick betritt Dr. Zapf das Besprechungszimmer. Eine angenehme Erscheinung, besonders im Kontrast zu dieser Lektorin, die Sabine mittlerweile auf die Nerven geht. Ein Mittfünfziger, ohne Krawatte, schlank und athletisch, welliges volles Haar, leicht angegraut, ein ausdrucksvolles Gesicht. Der Anflug des Künstlerischen umgibt ihn.
    »Erstmals vielen Dank, Frau Bucher, dass Sie gekommen sind. Ich stehe vor einem Rätsel, so kurz vor der Veröffentlichung, und dann gibt ihr Onkel aus einem mir unerfindlichen Grund auf. Vielleicht muss man die Antwort tatsächlich bei van Gogh suchen, der sich, wie man weiß, ebenfalls vor dem Erfolg gefürchtet hatte. Und dass er vor dem Durchbruch stand, das habe ich Arthur Heller in aller Deutlichkeit gesagt?«
    »Möglicherweise hat es mit einer Frau zu tun, mit der er verabredet war und die ihn womöglich sitzenließ oder mit der er sich gestritten hat. Sein letzter Tagebucheintrag vor dem Selbstmord weist in diese Richtung.«
    »Eine Frau? Wie auch immer, wir sollten bei dem Van-Gogh-Bezug bleiben.«
    »Wie haben Sie sich das weitere Vorgehen vorgestellt?«
    Sie ist fest entschlossen, die Rahmenbedingungen selbst vorzugeben. Der Umfang des Manuskripts verspricht nichts Gutes.
    »Frau Weber-Block wird mit Ihnen unsere Ergänzungsvorschläge durchsprechen. Wissen Sie, Autoren stehen bei uns Schlange, Ihr Onkel kann von Glück reden!«
    »Wieso?«
    »Na ja, in seinem Alter. Ein fünfundfünfzigjähriger Debütant, das gibt es eigentlich nicht, jedenfalls nicht in der Belletristik. Bei Sachbüchern ist das anders, da kommt es durchaus auf Erfahrung an, aber bei Romanen suchen der Leser und die Kritik nach den neuen Stimmen, und die sind eben jung. Aber der Stoff hat Brisanz und Tiefgang, eine deutsch-jüdische Liebesgeschichte, ein heikles Thema, und dies so ganz ohne Berührungsängste anzugehen, dazu gehört schon eine gewisse Stärke. Ohne van Gogh wäre die Kommunikation in die Öffentlichkeit dennoch nicht einfach gewesen. Jetzt lässt sich was draus machen.«
    »Van Gogh hin oder her, das Manuskript muss stimmen!«, wirft die Lektorin ein.
    »Natürlich, Frau Weber-Block, Sie haben völlig recht. Am besten lasse ich Sie nun allein, wenn Sie mit dem Manuskript durch sind, sollten wir uns über die vertraglichen Einzelheiten verständigen, Frau Bucher.«
    Ohne auf ihren Einwand zu achten, verlässt Dr. Zapf das Besprechungszimmer.
    Frau Weber-Block rückt ihren Stuhl unangenehm nahe an Sabine. Sie hat ihre Korrekturen in schulmeisterlichem Rot angezeichnet. In erster Linie scheint es um Stilistisches und Rechtschreibung zu gehen. Nach einigen Seiten unterbricht Sabine sie.
    »Ihre Vorschläge gehen so in Ordnung. Es erscheint mir nicht notwendig, dass wir beide das hier alles zusammen durchsprechen.«
    »Bestimmte Szenen habe ich allerdings erheblich gekürzt oder ganz gestrichen, da gibt es etwa eine Beischlafszene, bei der der Protagonist beim Blick auf Sarah plötzlich an ein Foto nackter jüdischer Frauen kurz vor ihrer Erschießung vor ihren selbstgeschaufelten Gräbern denken muss und dann nicht mehr mit Sarah schlafen kann. So etwas muss natürlich raus.«
    So etwas? Was soll sie dazu sagen? Arthur Heller hat das sicher nicht aus dem hohlen Bauch erfunden, er muss sich etwas dabei gedacht haben, vielleicht kommt dieser Stelle eine wichtige Funktion im Roman

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