Hotel van Gogh
den Abfall zu geben, allem voran Vincents Bilder, auch wenn das einem Verrat an Theo gleichkäme. Und was soll mit den Kisten Briefe geschehen, die Theo aufgehoben hat? Wen würde das je interessieren? Wegwerfen, natürlich, was sonst!
Aber etwas in ihr wehrt sich gegen alle Vernunft, hält sie von diesem Schritt zurück. Andries sieht nur auf die Kosten, den Aufwand, das »Zeug«, wie er es nennt, zu verpacken und nach Holland zu senden.
»Dann sieh doch selbst nach dem Rechten hier! Ich habe die Nase voll von deiner Uneinsichtigkeit. Nichts als Undank!«
Ohne zu wissen, wie es weitergehen soll, fühlt sich Johanna erleichtert, nicht mit überhasteten Entscheidungen unverrückbare Fakten geschaffen zu haben. Eines Tages erhält sie einen Brief von Émile Bernard. Er fragt an, ob er ihr in irgendeiner Form behilflich sein könnte.
Dankbar nimmt sie sein Angebot an. Émile überwacht die Verpackung der Bilder und schickt sie zusammen mit ihren sonstigen in Paris verbliebenen persönlichen Dingen nach Holland. Damit ist das Kapitel Paris beendet. Die Höhen und Tiefen zweier Jahre.
Eine junge Witwe mit ihrem gerade einjährigen Sohn, aber der Tod macht einen alt, weit über die Jahre hinaus. Das kurze Glück, das sie mit Theo erlebt hat, liegt unter den schmerzhaften Eindrücken der letzten Monate in Paris verschüttet. Bis sie bemerkt, dass die Erinnerungsstücke aus ihrer glücklicheren Zeit von damals, die nun überall in ihrem Haus herumstehen, die gemeinsamen Hoffnungen und Sehnsüchte nach und nach wieder in ihr aufleben lassen. Als wäre Theo insgeheim zu ihr zurückgekehrt.
Allerdings gehörte damals Vincent zu ihnen, jedoch mit dem ihr nichts als Unheil bringenden Schwager hat sie in den Stunden ihrer tiefsten Einsamkeit abgerechnet. Für ihn gibt es keinen Platz mehr in ihrem Leben. Obwohl sie im Stillen immer noch gehofft hat, Theo würde mit seinem unerschütterlichen Glauben an Vincent recht behalten. Kurz sah es auch danach aus, als im vergangenen Dezember, noch vor Theos Tod, in Holland zwei lobende Artikel über ihn erschienen waren. Aber niemand erkundigte sich daraufhin nach seinen Bildern, geschweige denn, dass eines verkauft worden wäre. Ein Windhauch, der einfach vorüberzog.
Und was haben ein oder zwei Artikel in Holland schon zu bedeuten? Für den großen Erfolg zählt nur Paris. Und mittlerweile sind seit dem Erscheinen dieser Artikel auch wieder Monate vergangen.
Johanna verspricht sich wenig davon, aber um sich später nichts vorwerfen zu müssen, lässt sie die Bilder von einem Sachverständigen auf ihren Wert schätzen. Nicht nur die von Vincent, sondern auch die Werke von Monet, Cézanne, Seurat, Toulouse-Lautrec und Gauguin und all den anderen, mit denen Vincent und Theo ständig Bilder getauscht hatten. Wie befürchtet, fällt das Ergebnis beschämend aus, insbesondere was Vincent betrifft. Zweihundert seiner großen Ölbilder werden von dem Sachverständigen auf insgesamt lediglich zweitausend Gulden geschätzt. Zehn Gulden für ein Bild! Die Leinwände und die Farben hatten Theo mehr gekostet. Mit anderen Worten: In dem Augenblick, in dem Vincent in seiner ungestümen Art eine Leinwand bemalte, hat das Material an Wert verloren.
Johanna behält dieses Ergebnis für sich, insbesondere Andries gegenüber, weil es auch ein schlechtes Licht auf Theo wirft. Aber es ist schon hart, all das Geld, das Theo für Vincent abgezweigt hat, für nichts und wieder nichts. Wie konnte er nur so blind sein, wo doch jeder in Paris seinen Kunstverstand lobte! Oder Émile Bernard und die anderen Malerfreunde, die Vincent als den wichtigsten Neuerer ihrer Zeit verehrten!
Aber an der Bewertung des Sachverständigen führt kein Weg vorbei.
Damit kann sie das Kapitel Vincent mit Fug und Recht abschließen.
2.
Sabine Bucher ist hundemüde, als wollten sie und Peter alles in diese eine Nacht packen, bis sie endlich eingeschlafen sind. Wahrscheinlich schläft er noch, und sie hockt in dieser unbequemen Maschine nach Frankfurt. Von Urlaub keine Spur. Warum hat sie sich nicht einfach geweigert? Manchmal versteht man sich selbst nicht mehr. Allein der anmaßende Stil des Verlegers. Er sollte doch jedes Interesse haben, ihr entgegenzukommen.
Und was weiß sie schon von Arthur Heller? Sie hatte gestern Abend begonnen, seine Tagebücher zu lesen, chronologisch, zunächst nur oberflächlich, besonders die letzten Jahre, unmöglich, alles zu lesen, außerdem war seine Handschrift nicht leicht zu entziffern.
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