Hotel van Gogh
Willem wird in Kürze das Gymnasium abschließen und dann mit dem Ingenieurstudium beginnen. Aber plötzlich verfällt Johan in eine Schaffenskrise. Kränklich und gereizt hört er monatelang ganz mit der Arbeit auf. Der unbeugsame Schaffensdrang, wie sie ihn bei Vincent erlebt hat, geht ihm völlig ab. Ihre Aufmunterungsversuche erscheinen ihr selbst als zu durchsichtig.
Johan ist zehn Jahre jünger als sie. Sie hatte darauf gebaut, dass er sie pflegen würde, sollte sie eines Tages darauf angewiesen sein. Nun muss sie ihn pflegen! Vorzeitig gealtert zieht er sich mehr und mehr in sich zurück.
Worauf kann man sich in diesem Leben überhaupt verlassen?
10.
Am nächsten Morgen treffen sie die Haushaltshilfe in der Wohnung. Sie weist sie weiter zu seinem Anwalt, bei dem sie auch sofort einen Termin erhalten. Er hatte bereits über den Artikel in Le Monde über Arthur Hellers Tod erfahren.
»Ich hatte angeregt, ein Testament aufzusetzen. Nein, wir hatten eigentlich mehr eine freundschaftliche Beziehung, er neigte sonst nicht dazu, die Dinge hinauszuschieben. Vielleicht gibt es ja auch eins, von dem ich nichts weiß, ansonsten gilt die gesetzliche Erbfolge. Die sieht in Frankreich nicht anders aus als in Deutschland«, erklärt der Anwalt.
»Er hat ja wohl einiges hinterlassen, Sabine. Da kannst du deinen Anwaltsjob an den Nagel hängen.«
»Ich wollte nie etwas anderes«, antwortet sie Peter.
Allerdings gibt es hier im Moment für sie nichts weiter zu tun. Sabine lässt von der Sekretärin des Anwalts einen Nachmittagsflug nach Frankfurt buchen.
»Kennen Sie eine Justine, die bei meinem Onkel gewohnt hat, wissen Sie, wie wir sie erreichen können?« Der Anwalt schüttelt den Kopf.
Nachts, als sie unruhig und schlaflos im Bett lag, kam ihr der Gedanke, Justine die Betreuung von Arthur Hellers Büchern zu übertragen. Sie hatte bei ihrer Entstehung eine Rolle gespielt, und mit dem Lesen eines Manuskripts kennt sie sich auf alle Fälle besser aus.
Als Sabines Telefon klingelt, während sie noch mit dem Anwalt spricht, nimmt Peter den Anruf entgegen.
»Herr Dechaize?«
Regungslos hält Peter das Telefon. Seine Augen fixieren Sabine, ohne Dechaize zu unterbrechen.
»Ja, ich verstehe. Wir kommen sofort. »
»Was ist jetzt los?«, fragt Sabine.
»Ziba war gerade bei Dechaize. Ihr Schwager sei zurück, ob wir nach Auvers kommen könnten. Sie schien ungewöhnlich erregt. Dechaize sagt, wir seien ihr einziger Ausweg.«
Peter sieht sie fragend an. Alles in Sabine sträubt sich dagegen, noch einmal in die Sache einzusteigen. Und sie können Ziba nicht helfen, ihre Situation ist doch aussichtslos. Mit hilfesuchendem Blick wendet sie sich dem Anwalt zu.
»Es wäre wohl besser, hinzufahren«, sagt er.
»Sabine, den Rückflug heute nach Frankfurt können wir uns sowieso aus dem Kopf schlagen. Wir werden auf jeden Fall noch eine Nacht in Paris bleiben müssen. Damit geben wir auch Justine nochmals eine Chance.«
Als hätten sie ihre Rollen vertauscht. Wie selbstverständlich übernimmt Peter das Steuer. Sie sitzt stumm neben ihm bei der Fahrt durch die sonnige Landschaft der Oise, die schon die Impressionisten vor über hundert Jahren begeistert hat.
In der Gaststube des Van-Gogh-Hauses herrscht Hochbetrieb. Aber Gérard Dechaize lehnt wie teilnahmslos an der Theke. Als sie eintreten, fährt er aus seiner Benommenheit hoch:
»Es gab Schüsse im Haus von Zibas Schwager. Mehr kann ich euch nicht sagen, aber ich befürchte das Schlimmste.«
»Mein Gott, lebt sie?«
Dechaize zuckt die Schultern »Am besten gehen wir sofort hin.«
Im Schatten des Hauses redet eine Gruppe Iraner aufgeregt miteinander. Der Eingang ist mit einem gelben Band abgesperrt. Crosnier tritt aus dem Haus, blass und müde.
»Es bleibt einem nichts erspart. Die haben mir noch nicht einmal die Leute aus Paris geschickt, und dann das.« Er blickt zu Sabine, als ob es ihre Schuld wäre. Natürlich, mit Arthur Heller hat es angefangen, und jetzt taucht sie schon wieder auf.
»Was ist passiert?«
»Schusswunde, in den Kopf. Als ich sie im Wohnzimmer liegen sah, schien es mir, als lächle sie mich an. Sie muss sofort tot gewesen sein.«
»Ziba, mein Gott, als hätte ich es nicht geahnt! Ihr Schwager?«
»Wir suchen nach ihm. Die Frauen im Haus sind nicht ansprechbar, unmöglich, etwas aus ihnen herauszuholen. Wir brauchen einen Übersetzer, am besten auch gleich einen psychologisch geschulten Sozialarbeiter. Die Tatwaffe haben wir sichergestellt,
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