Hotel van Gogh
darum.«
»Gemeinsam mit Arthur hätte ich mir ein neues Leben vorstellen können. Aber allein, nein, ich wäre dort genauso gefangen wie hier.«
Peter, der geduldig dem Gespräch zugehört hat, blickt Sabine fragend an. Sie schildert ihm Zibas Situation, aus der sie keinen Ausweg sieht.
»Wie stellst du dir deine Zukunft vor?«, fragt Sabine. »Ich habe Angst um dich.«
»Mein Schicksal ist an diesen Ort gebunden, erst mit meinem Mann, und nun mit Arthur. Ich werde hier bleiben.«
»Und wenn dein Schwager zurückkommt?«
»Wir werden sehen, es gibt Grenzen seiner Macht. Wenn ich Trost brauche, finde ich ihn bei Gérard, meinem Mentor, und bei Vincent van Gogh.«
Zum Abschied umarmen sie sich. Auf Zibas Gesicht liegt eine zuversichtliche Ruhe, nur in ihren Augen flackern ängstliche Zweifel auf. Unsicher wie die Zukunft vor ihr, denkt Sabine.
Was haben wir eigentlich erreicht, fragt sie sich auf der Fahrt nach Paris. Arthur Hellers Mörder läuft frei herum, und die Polizei würde am liebsten den Fall in den Akten verschwinden lassen. Der Leichnam wird eingeäschert und jede weitere Spurensicherung insoweit abgeschnitten. Und wem würde die Wahrheit nutzen? Ziba am ehesten, aber gerade sie scheint keinen Wert darauf zu legen.
»Dieser Ausgang ist alles andere als zufriedenstellend, aber wer sind wir, um uns hier mehr als notwendig einzumischen?«
»Das klingt nicht unbedingt nach der Perfektionistin, als die ich dich sonst kenne.«
»Mag sein, aber es geht nicht um mich. Und Ziba wird sich mit ihrem Schicksal abfinden, das so aussehen wird wie bisher, nur um einen Traum ärmer.«
In Paris gehen sie sofort in die Wohnung. Vergeblich hatten sie gehofft, Justine dort anzutreffen. Als sei ein Vorhang gefallen.
Vom Vermieter erfahren sie am nächsten Morgen, dass Arthur Heller die Miete für drei Monate im Voraus bezahlt hat. Um mit Ziba unterzutauchen, wenn nötig, bis sich der Wirbel um ihre Flucht gelegt haben würde. Er hatte für alles vorgesorgt.
»Sein Leben lief auf diesen Punkt zu, die Zusage eines Verlages, der sein Buch druckt, und die Aussicht auf eine Zukunft mit Ziba. Und dann am Ziel seiner Träume dieser brutale Einschnitt. Im Zeitpunkt seines Todes muss er der glücklichste Mensch gewesen sein.«
»Eigentlich kein schlechtes Ende,« pflichtet ihr Peter bei.
An einem Zeitungsstand sehen sie die neueste Ausgabe von Le Monde : Schriftsteller bei Anti-Terror-Einsatz in Auvers erschossen! Mazols Bericht, allerdings mehr Fragen als Antworten. Ein Sprecher des Innenministeriums gibt bekannt, dass man einen bestimmten Vorfall während des Polizeieinsatzes untersuchen werde. Der Kommandant der Einheit, der den Sturm auf das Hauptquartier der Iraner leitete, hat angegeben, einen Schuss gehört zu haben.
»Damit ist Druck in die Sache gekommen. Ein Glück, die Presse!«
Als sie am Nachmittag in die Wohnung kommen, liegt die Post auf dem Küchentisch. Der Zettel mit Sabines Telefonnummer ist verschwunden. Beim Abhören ihres Handys findet sie eine Nachricht der Hausgehilfin, die ihr mit bebender Stimme eine Telefonnummer hinterlässt.
»Sie wird vielleicht wissen, wer sein Anwalt ist, dem ich dann den Fall übergeben werde. Er hat hoffentlich das Testament.«
Abends, in der Brasserie Lipp beim Abendessen, ruft Gérard Dechaize an. Zibas Schwager werde überraschend zurückerwartet, nur damit sie Bescheid wüssten, aber es gebe keinen Grund zur Beunruhigung und eingreifen könne man so oder so nicht. Außerdem habe er für Peter einen Kontakt zum Van-Gogh-Museum in Amsterdam herausgefunden.
»Warum teilt er uns das mit, wenn kein Grund zur Beunruhigung besteht?«, wundert sich Sabine. »In den Augen des Schwagers hat sie ein Tabu gebrochen. Alles andere ist zweitrangig.«
9.
Hätte man Johanna vor zehn Jahren vorausgesagt, sie würde sich eines Tages wieder verheiraten, hätte sie laut gelacht. Aber mit dem neuen Jahrhundert drängt sich wie von selbst ein neues Leben auf. An einem gewissen Punkt, und ohne dass man dies besonders bemerkt, verflüchtigen sich die Bilder in der Erinnerung Schritt für Schritt. Jedem ergeht das so.
Lange Zeit war ihr nicht zum Lachen zumute. Bis sie sich mit einem Mal wieder lachen hörte.
Dabei beabsichtigt sie nicht, vor der Vergangenheit davonzulaufen, aber sie kann nicht ewig im Gestern stehenbleiben.
Johan Gottschalk, Johannas zweiter Mann, ist Maler und Kunstkritiker. Als gebe es für sie kein Entkommen von der Kunst. Johan ist der krasse Gegensatz zu
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