Hotel van Gogh
Vincent. Seine Bilder sind gefällig, sie entstehen nicht an der gefährlichen Randzone der Gegenwartskunst, an der sich Vincent aufgerieben hat.
Dank Johans guter Beziehungen zum Stedelijk Museum wird es in absehbarer Zeit eine Gesamtausstellung von Vincents Werk in dem ehrwürdigen Amsterdamer Museum geben. So hängen letztlich ihr altes und ihr neues Leben wieder zusammen.
Nach all den Enttäuschungen mit den Pariser Kunsthändlern verschafft ihr die Anerkennung in Holland eine besondere Genugtuung. Sie geht gar nicht erst auf das Ansinnen von Bernheim-Jeune ein, eine in seiner Galerie geplante Ausstellung mit Leihgaben zu bestücken. Es kommt doch nichts dabei heraus, und dann das Gezänk um die Rücksendung der Bilder und das Gefeilsche um das Geld, sollte tatsächlich etwas verkauft werden.
Mittlerweile sieht sie Vincents Zukunft auch eher in Deutschland als in Frankreich. Kürzlich erhielt sie einen Besuch von Paul Cassirer, einem jungen Berliner Galeristen, der von Vincents aufregenden Farben und kräftigen Pinselstrichen begeistert ist. Sie hat ihm ihre volle Unterstützung für seine erste Ausstellung zugesagt.
Allerdings ist sie doch vom Umfang der Bernheim-Jeune-Ausstellung überrascht, als ihr Bruder Andries ihr den Katalog zuschickt. Über fünfzig Bilder! Meist Sachen, die Vincent seinen Freunden in Arles und Auvers geschenkt oder die er mit Malerkollegen wie Gauguin getauscht hat. Außerdem zu ihrem Erstaunen Die Sternennacht und Sonnenblumen , die der aufdringliche Amedeé Schuffenecker vor einiger Zeit bei ihr gekauft, allerdings bisher noch nicht bezahlt hat. Sollte die Saat doch noch in Paris aufgehen? Aber dann schickt ihr Schuffenecker nach Ende der Ausstellung die beiden Bilder zurück, weil er das Geld dafür nicht aufbringen kann und sie offensichtlich bei Bernheim-Jeune nicht verkauft worden sind. Die kurz aufflackernde Hoffnung einmal mehr im undurchsichtigen Spiel des Pariser Kunsthandels erstickt.
Kein Vergleich zu den ermutigenden Nachrichten aus Berlin! Cassirer hat gleich mehrere Sammler für Vincent gewonnen. Er veranlasst über einen Wiener Galeristen eine Ausstellung in Wien, wo sich der Maler Klimt vehement für Vincent einsetzt. Dann folgen Ausstellungen in München, Krefeld und Wiesbaden. Gibt es da noch Zweifel, wo die Zukunft liegt?
Sie meint, nun endlich ihren Frieden gefunden zu haben. Aber plötzlich treten bei ihrer Schwägerin Wil dieselben Anzeichen auf, die bei Theo den Wahnsinn angekündigt hatten: Vergesslichkeit, Irritation, Teilnahmslosigkeit und ständige Müdigkeit. Trügerisch geblendet durch ihr neues Glück, hatte sie den Wahnsinn der van Goghs verdrängt, aber nun kann sie beim Blick auf ihren Sohn an nichts anderes mehr denken. Vincent Willem ist gesund und kräftig, aber was heißt das schon, das war Wil auch. Und Vincent, sein Onkel, dieser Baum von Mann! Der Keim steckt in jedem von ihnen, bleibt allein die Frage, bei wem er ausbricht und wann.
Die Vorbereitung der Ausstellung im Stedelijk Museum wird zur Flucht vor sich selbst. Als entführte sie Vincent vom Wahnsinn der van Goghs zur Größe der van Goghs. Wie nahe sie beieinanderliegen!
Damit erfüllt sie Vincents lang gehegten Traum, und nicht etwa ein paar Bilder in einem kleinen Café, wie er sich das in seiner Bescheidenheit vorgestellt hatte, sondern das traditionsreiche Stedelijk Museum!
Für den Ausstellungskatalog verfasst Johan einen einfühlsamen und aufschlussreichen Artikel. Sie ist überrascht, wie er dieses so andere Temperament von Vincent in seiner ganzen Tiefe erfasst.
Stolz überreicht sie Vincent Willem den Katalog.
»Dies ist auch das Lebenswerk deines Vaters.«
Er blickt sie erstaunt an. »Mein Vater war doch nicht der Maler!«
»Aber ohne ihn hätte es diese Bilder nie gegeben. Er war Vincents Partner, sein Gegenüber, sein Spiegel. Auf diese bestimmte Weise ist er verantwortlich für das, was dein Patenonkel geschaffen hat.«
Tatsächlich drängt sich ihr beim Rundgang durch das Museum Theos Gegenwart nicht weniger auf als die Vincents. Fünfzehn Jahre nach dem frühen Tod der Brüder, und doch als wäre es gerade gestern geschehen. Vincent wäre heute zweiundfünfzig Jahre alt. Als hätte er geahnt, dass ihm nur diese kurze Zeitspanne vergönnt war, und darum der gerade in den letzten drei Monaten seines Lebens fast übermenschliche Schaffensdrang.
Mit der Ausstellung hat sie ihr Versprechen Theo und Vincent gegenüber eingelöst. Ihre Mission ist erfüllt. Vincent
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