Hotel
wird ausgeleert, und die Überreste werden nach hinten geschoben, wo sie durch einen Spalt in eine Grube fallen. Der alte Sarg wird verbrannt, und der neue kommt an seinen Platz. Dort bleibt er ein Jahr lang, und dann geschieht das gleiche mit ihm.«
»Bloß ein Jahr?«
Eine Stimme hinter ihnen sagte: »Mehr braucht’s nicht. Aber manchmal dauert’s länger – wenn der nächste, der an der Reihe ist, sich Zeit läßt. Ameisen und Kakerlaken helfen nach.«
Sie wandten sich um. Ein ältlicher, rundlicher Mann in fleckigem Drillichoverall musterte sie fröhlich. Seinen alten Strohhut lüpfend, fuhr er sich mit einem roten Seidentuch über die Glatze. »Heiß, nicht? Da drin ist’s kühler.« Er patschte ungezwungen mit der Hand auf ein Grab.
»Falls Sie nichts dagegen haben, bleib’ ich lieber in der Hitze«, sagte Peter.
Der andere kicherte. »Am Ende landen Sie auch da drin. Wie geht’s, Miss Preyscott?«
»Hallo, Mr. Collodi«, sagte Marsha. »Das ist Mr. McDermott.«
Der Totengräber nickte freundlich. »Wollen Sie die Familie besuchen?«
»Wir sind gerade auf dem Wege dahin.«
»Hier entlang.« Der Mann ging voran und rief ihnen über die Schulter zu: »Wir haben das Grab neulich erst saubergemacht. Sieht wieder prima aus.«
Als sie durch die schmalen Friedhofsgassen wanderten, erhaschte Peter dann und wann lange zurückliegende Daten und altehrwürdige Namen. Ihr Führer zeigte auf einen schwelenden Holzstoß auf einem offenen Platz. »Wir verbrennen gerade ein bißchen was.« Inmitten des Rauchs konnte Peter die Überreste eines Sarges erkennen.
Sie blieben vor einem sechsfach unterteilten Grab stehen, eine Nachbildung des traditionellen Hauses der Pflanzeraristokratie. Es war weiß getüncht und besser erhalten als die meisten anderen in seiner Umgebung. Auf verwitterten Marmortafeln waren viele Namen verzeichnet, vor allem aber Preyscotts. »Wir sind eine alte Familie«, sagte Marsha. »Mittlerweile muß unten in der Erde ein ziemliches Gedränge sein.«
Die Sonne malte lustige Kringel auf das Grab.
»Hübsch, nicht?« Der Totengräber trat bewundernd zurück und wies dann auf eine Tür ziemlich weit oben. »Die ist als nächste dran, Miss Preyscott. Da kommt Ihr Daddy rein.« Er berührte eine andere in der zweiten Reihe. »Und die ist für Sie. Glaub’ aber nicht, daß ich das noch erlebe.« Er verstummte und fügte nachdenklich hinzu: »Es ist schneller mit uns vorbei, als wir möchten. Drum soll man auch keine Zeit vertun; nein, Sir!« Er wischte sich wieder den Kopf ab und schlenderte gemächlich davon.
Trotz der Hitze fröstelte Peter. Die Vorstellung, daß für ein so junges Geschöpf wie Marsha der letzte Ruheplatz schon vorgemerkt war, beunruhigte ihn.
»Es ist nicht so morbid, wie es scheint.« Marshas Blick lag auf seinem Gesicht, und wieder einmal wunderte er sich über ihre Fertigkeit, in seinen Gedanken zu lesen. »Wir lernen eben von Kind an, daß all dies ein Teil von uns selbst ist.«
Er nickte. Dennoch hatte er genug von diesem Ort des Todes.
Sie befanden sich auf dem Weg nach draußen, unweit des Ausgangs zur Basin Street, als Marsha ihn am Arm zurückhielt.
Eine Wagenschlange stoppte unmittelbar vor dem Tor. Türen öffneten sich, Leute stiegen aus und versammelten sich auf dem Gehsteig. Ihr Äußeres verriet, daß sie im Begriff waren, sich zu einer Beerdigungsprozession zusammenzuschließen.
Marsha flüsterte: »Peter, wir müssen warten.« Sie traten einige Schritte zurück.
Nun teilte sich die Gruppe auf dem Gehsteig und machte dem Leichenzug Platz. Ein fahler Mann mit dem salbungsvollen Gebaren eines Leichenbestatters kam zuerst. Ihm folgte ein Geistlicher.
Hinter dem Geistlichen schritten langsam sechs Sargträger, einen schweren Sarg auf den Schultern. Vier andere folgten mit einem kleinen weißen Sarg, auf dem ein einzelner Oleanderzweig lag.
»O nein!« sagte Marsha.
Peter nahm ihre Hand und hielt sie fest.
Der Geistliche intonierte: »Mögen die Engel dich in das Paradies tragen; mögen die Märtyrer dich auf deinem Wege willkommen heißen und in die heilige Stadt Jerusalem geleiten.«
Eine Gruppe von Leidtragenden folgte dem zweiten Sarg. Allein, an der Spitze, ging ein junger Mann. Er hatte einen schlechtsitzenden schwarzen Anzug an und trug seinen Hut unbeholfen. Sein Blick hing an dem kleinen Sarg. Tränen liefen ihm über die Wangen. Hinter ihm schluchzte eine ältere Frau, die von einer anderen gestützt wurde.
»… Möge der Chor der Engel
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