Hotel
der Band sofort erkannt haben – der warme, weiche und doch kräftige Ton der Blasinstrumente war Moxie Buchanans Gütezeichen.
Sie lehnte unschlüssig am Fenster und fragte sich, ob sie in den Tanzsaal zurückkehren sollte, obwohl sie sich ungefähr denken konnte, was sie unten vorfinden würde: verschwitzte Jungen im Smoking, die nervös an ihren Hemdkragen zupften; einige Tölpel, die sich nach ihrer Alltagskluft sehnten; und Mädchen, die den Waschraum umlagerten und sich hinter der verschlossenen Tür kichernd ihre Geheimnisse anvertrauten; in Marshas Augen hatte das Ganze eine peinliche Ähnlichkeit mit einem Kinderfest, bei dem Buben und Mädchen sich verkleiden, um Scharade zu spielen. Jungsein war abscheulich langweilig, dachte Marsha oft, zumal, wenn man das Los mit so vielen Gleichaltrigen teilte. Manchmal – wie eben jetzt – sehnte sie sich nach einem etwas reiferen Gefährten.
Lyle Dumaire hatte sie enttäuscht. Er stand noch immer in der Gruppe vor der Verbindungstür, mit gerötetem Gesicht, zerknitterter Hemdbrust und schiefsitzender schwarzer Schleife. Marsha wunderte sich, daß sie ihn jemals ernst genommen hatte.
Auch andere schickten sich nun zum Gehen an, und das Zimmer leerte sich so schnell, daß es den Anschein eines Massenauszugs hatte. Einer der älteren Jungen, von dem sie wußte, daß er Stanley Dixon hieß, kam aus dem Nebenraum, machte die Tür bedächtig hinter sich zu, wies mit dem Kopf nach nebenan und gab eine Erklärung ab, von der Marsha nur einige Worte auffing: »… Mädchen wollen gehen … sagen, sie haben genug … haben Angst … zuviel Tumult …«
»… hab’ dir gleich gesagt, wir hätten nicht soviel Wirbel machen sollen«, meinte ein anderer.
»Warum nehmen nicht jemand von hier?« Lyle Dumaire hatte seine Stimme nicht mehr ganz unter Kontrolle.
»Tjah, aber wen?« Ihre Augen schweiften abschätzend durch den Raum. Marsha ignorierte ihre Blicke geflissentlich.
Ein paar Freunde von Sue Phillips bemühten sich um das betrunkene Mädchen und versuchten es aufzurichten, jedoch ohne Erfolg: »Marsha! Sue geht’s ziemlich schlecht. Kannst du ihr nicht helfen?«
Marsha, die auf dem Weg nach draußen war, blieb widerwillig stehen und betrachtete das Mädchen, das mit offenen Augen in einem Sessel lag, das kindliche Gesicht kreidebleich, mit schlaffem Mund und verschmiertem Lippenstift. Mit einem innerlichen Seufzer sagte sie: »Na schön, helft mir, sie ins Bad schaffen.« Als sie von drei Jungen hochgehoben wurde, fing Sue an zu weinen.
An der Badezimmertür schien einer der Jungen nicht abgeneigt, den beiden Mädchen zu folgen, aber Marsha machte ihm energisch die Tür vor der Nase zu und schob den Riegel vor. Sie wandte sich zu Sue Phillips um, die sich entsetzt im Spiegel betrachtete. Der Schock hat wenigstens das eine Gute, dachte Marsha erleichtert, daß er sie zur Vernunft bringt.
»Ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viele Sorgen machen«, bemerkte sie. »Angeblich passiert das jedem von uns mal, und du hast’s hinter dir.«
»O Gott! Meine Mutter bringt mich um, wenn sie mich so sieht«, stöhnte Sue und machte einen wilden Satz auf das Klosettbecken zu, um sich zu übergeben.
Marsha hockte sich auf den Rand der Badewanne. »Dir wird gleich viel wohler zumute sein. Wenn du fertig bist, wasch ich dir das Gesicht, und du machst dich ein bißchen zurecht.«
Den Kopf noch immer über das Becken gebeugt, nickte das Mädchen kläglich.
Als sie zehn oder fünfzehn Minuten später aus dem Bad kamen, waren alle Gäste fort bis auf Lyle Dumaire und seine Kumpane, die in einer Ecke die Köpfe zusammensteckten. An der Tür wartete Sues Begleiter, der Marsha um Hilfe gebeten hatte. Er lief auf sie zu und sagte hastig: »Wir haben vereinbart, daß eine von Sues Freundinnen sie zu sich nach Haus mitnimmt, und wahrscheinlich kann Sue auch bei ihr schlafen.« Als er das Mädchen am Arm faßte, ging sie folgsam mit. »Unten wartet ein Wagen auf uns. Vielen Dank, Marsha«, rief ihr der Junge über die Schulter hinweg zu, bevor er mit Sue im Korridor verschwand. Marsha sah ihnen erleichtert nach.
Sie war im Begriff, ihre Stola zu holen, die sie weggelegt hatte, bevor sie sich um Sue Phillips kümmerte, als sie hörte, wie die äußere Tür zugezogen wurde. Stanley Dixon stand davor und hatte die Hände hinter dem Rücken. Das Schloß klickte leise zu.
»He, Marsha«, sagte Lyle Dumaire. »Warum so eilig?«
Marsha kannte Lyle seit ihrer Kindheit, aber
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