Hotel
waren fast den ganzen Abend über oben. Dort geht’s rund, kann ich dir sagen.« Er schwang sich zu einem männlichen Lachen auf, das aber irgendwie zu einem Kichern abrutschte, und fragte dann geradezu: »Warum kommst du nicht auch rauf?«
Ohne lange zu überlegen, hatte sie zugestimmt. Sie waren aus dem Tanzsaal geschlüpft und hatten sich in die kleine überfüllte Suite 1126-7 begeben, wo ihnen bereits an der Tür warme abgestandene Luftschwaden und schrilles Stimmengewirr entgegenschlugen. Es waren mehr Leute da, als sie erwartet hatte, und sie war auch nicht darauf gefaßt gewesen, daß einige von den Jungen bereits stark angetrunken waren.
Die meisten der anwesenden Mädchen kannte sie, aber nur oberflächlich. Sie begrüßte sie kurz, obwohl es bei dem Lärm fast unmöglich war, sich verständlich zu machen. Eins der Mädchen, Sue Phillips, das gar nichts sagte, war offenbar hinüber, und ihr Begleiter, ein Junge aus Baton Rouge, schüttete Wasser über sie aus einem Schuh, den er im Bad immer wieder nachfüllte. Sues rosa Organdykleid triefte vor Nässe.
Die Begrüßung durch die Jungen fiel etwas herzlicher aus; sie wandten sich jedoch sofort wieder der improvisierten Bar zu, einem Glasschränkchen, das man auf die Seite gekippt hatte. Jemand – sie war sich nicht sicher, wer – drückte ihr unbeholfen ein volles Glas in die Hand.
Es war auch nicht zu übersehen, daß im Nebenzimmer irgend etwas vorging. Die Tür war zwar geschlossen, aber eine Gruppe von Jungen drängte sich vor dem Schlüsselloch zusammen. Auch Lyle, der Marsha im Stich gelassen hatte, war dort. Sie schnappte einzelne Satzfetzen auf und die immer wiederkehrende Frage: »Wie war’s?« Die Antwort ging jedoch in einem wiehernden Gelächter unter.
Als sie schließlich aus einigen weiteren Bemerkungen erriet, was sich hinter der geschlossenen Tür abspielte, hatte sie nur noch den Wunsch, wegzugehen. Alles war besser als das hier, sogar die große Villa, in der sie sich entsetzlich einsam fühlte, denn wenn ihr Vater auf Reisen war, wurde sie nur von ihr und den Dienstboten bewohnt. Ihr Vater war aber schon seit sechs Wochen verreist und würde mindestens noch zwei weitere Wochen wegbleiben.
Beim Gedanken an ihren Vater fiel Marsha wieder ein, daß sie jetzt nicht hier wäre, wenn er sein Versprechen gehalten und rechtzeitig zu ihrem Geburtstag heimgekommen wäre. Dann wäre sie nicht zum Verbindungsball gegangen, sondern hätte zu Haus gefeiert, und Mark Preyscott hätte in seiner unbeschwerten, jovialen Art über eine Schar ausgewählter Freunde seiner Tochter präsidiert, Freunde, die gern auf den Alpha-Kappa-Epsilon-Ball verzichtet hätten, wenn er mit Marshas Einladung zusammenfiel. Aber er war nicht heimgekommen. Statt dessen hatte er sie reumütig wie immer angerufen, diesmal aus Rom.
»Marsha, Liebling, ich hab’s versucht, wirklich, aber ich schaff’s nicht. Meine Geschäfte werden mich hier bestimmt noch zwei oder drei Wochen länger festhalten, aber ich mach’s wieder gut, wenn ich nach Hause komme, Liebling.« Er erkundigte sich vorsichtig, ob Marsha nicht Lust hätte, ihre Mutter und deren neuesten Ehemann in Los Angeles zu besuchen, und als sie schlankweg ablehnte, hatte ihr Vater gesagt: »Na, ich wünsche dir jedenfalls alles Gute und Liebe, und es ist auch schon ein kleines Geburtstagsgeschenk für dich unterwegs, das dir, glaub’ ich, gefallen wird.« Beim vertrauten Klang seiner Stimme hätte Marsha am liebsten geweint, ließ es aber bleiben, weil sie sich das Weinen schon vor Jahren abgewöhnt hatte. Es war auch zwecklos, darüber nachzudenken, warum der Eigentümer eines großen Warenhauses mit einem Stab hochbezahlter Geschäftsführer fester ans Geschäft gebunden sein sollte als ein Bürojunge. Vielleicht hielten ihn andere Dinge in Rom fest, über die er natürlich mit ihr nicht sprechen würde, so wie sie ihm niemals erzählen würde, was sich augenblicklich in der Nummer 1126 abspielte.
Als sie sich zum Weggehen entschloß, war sie ans Fenster getreten, um dort ihr Glas abzustellen, und nun kamen die Klänge von »Stardust« von unten zu ihr herauf. Wie bei jedem Fest war jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo die Musik auf die alten sentimentalen Schlager zurückgriff, besonders, wenn es sich bei der Band um Moxie Buchanan und seine All-Star Southern Gentlemen handelte, die fast bei allen feudalen Festivitäten des St. Gregory aufspielten. Sogar wenn sie vorhin nicht getanzt hätte, würde sie den Klang
Weitere Kostenlose Bücher