Hotel
Mann überlegte, die mageren Schultern tief im Kissenberg vergraben. »Daran hab’ ich eigentlich nie gedacht, Miss. Ich schätze, ich komme her, weil ich altmodische Dinge mag und weil nicht mehr viele Plätze übrig sind, wo man sie findet. Mit dem Hotel hier ist’s das gleiche. An manchen Stellen ist es schon ein bißchen fadenscheinig, das wissen Sie selbst, Miss. Aber im großen und ganzen ist’s behaglich, und ich meine das im besten Sinn. Ich hasse Standardhotels. Da ist eins wie das andere – geleckt und auf Hochglanz poliert, und wenn man drin wohnt, kommt man sich vor wie in einer Fabrik.«
Christine zögerte einen Moment lang. Dann, im Bewußtsein, daß die Ereignisse des Tages die bisherige Heimlichtuerei ohnehin überflüssig machten, sagte sie: »Ich habe Neuigkeiten für Sie, die Ihnen nicht gefallen werden. Ich fürchte, das St. Gregory wird auch bald zu den Standardhotels gehören.«
»Wenn’s so weit käme, würde ich das bedauern. Obwohl ich mir gedacht hab’, daß ihr hier in Geldschwierigkeiten seid.«
»Woran haben Sie das gemerkt?«
»An allem möglichen, Miss.« Der alte Mann sann nach. »Als ich das letzte- und auch das vorletztemal hier war, merkte ich gleich, daß ihr in einer Klemme seid. Was ist’s denn diesmal – Bankschulden, Kündigung einer Hypothek oder was sonst?«
An diesem ehemaligen Bergmann kamen immer neue, überraschende Charakterzüge zum Vorschein, dachte Christine, nicht zuletzt ein sicherer Instinkt für die Wahrheit. Sie antwortete lächelnd: »Vermutlich hab’ ich schon zuviel ausgeplaudert. Aber Sie werden es sowieso erfahren. Mr. Curtis O’Keefe ist heute eingetroffen.«
»O nein! – Nicht O’Keefe.« Auf Albert Wells’ Gesicht spiegelte sich aufrichtiger Kummer. »Wenn der das Hotel hier in die Finger bekommt, ist’s bald bloß noch ein Abklatsch von seinen anderen. Dann wird’s wirklich eine Fabrik. Das Hotel hätte ein paar Veränderungen dringend nötig, aber nicht solche, wie O’Keefe sie vorhat.«
»Welche denn, Mr. Wells?« fragte Christine neugierig.
»Ein guter Hotelfachmann könnte Ihnen das besser erklären als ich, obwohl ich mir auch so meine Gedanken gemacht habe. Eins weiß ich jedenfalls genau, Miss – die Leute machen sich wieder mal zum Narren einer Mode. Im Moment sind sie versessen auf Politur und Chrom, und alles soll gleich aussehen. Aber mit der Zeit kriegen sie das satt und möchten die alten Dinge zurückhaben – solche Sachen wie echte Gastlichkeit und ein bißchen Charakter und eine persönliche Atmosphäre; kein Standardhotel, wie sie’s in fünfzig Städten gefunden haben und in fünfzig anderen finden könnten, sondern was Besonderes. Der Haken ist bloß, daß, wenn die Leute das endlich begriffen haben, die meisten guten Häuser – und das hier vielleicht auch – nicht mehr existieren werden.« Er verstummte und fragte dann: »Wann wird sich’s entscheiden?«
»Das weiß ich wirklich nicht.« Die Tiefe des Gefühls, die in den Worten des kleinen Mannes zum Ausdruck kam, hatte Christine erschreckt. »Nur glaube ich nicht, daß Mr. O’Keefe lange hierbleiben wird.«
Albert Wells nickte. »Nach allem, was ich gehört hab’, bleibt er nirgends lange. Ein schneller Arbeiter, sobald er sich was in den Kopf gesetzt hat. Also, ich kann nur nochmal sagen, es wäre ein Jammer, und sollte es wirklich dazu kommen, dann sehen Sie mich hier nicht wieder.«
»Wir werden Sie vermissen, Mr. Wells. Mir wenigstens werden Sie fehlen – sofern ich den Wechsel überlebe.«
»Oh, Sie werden ihn überleben, und Sie werden das erreichen, was Sie erreichen wollen, Miss. Nur wird’s vielleicht nicht gerade ein Posten im Hotel sein, wenn ein junger Bursche aufkreuzt, der ein bißchen Verstand hat.«
Sie lachte, ohne ihm zu antworten, und danach plauderten sie über andere Dinge, bis ein kurzes Klopfen an der Tür die Rückkehr des gestrengen Schutzengels ankündigte. »Danke, Miss Francis«, sagte die Pflegerin steif und sah nachdrücklich auf ihre Uhr. »Mein Patient muß jetzt seine Medizin nehmen und ruhen.«
»Ich kann ohnehin nicht bleiben«, erklärte Christine. »Morgen besuche ich Sie wieder, Mr. Wells, wenn ich darf.«
»Das wäre nett, Miss.«
Als sie hinausging, zwinkerte er ihr zu.
Auf ihrem Schreibtisch fand sie eine Notiz mit der Bitte, Sam Jakubiec anzurufen. Sie griff nach dem Hörer, und der Kreditmanager meldete sich.
»Ich dachte mir, daß Sie vielleicht gern Bescheid haben würden«, sagte er.
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