Hotzenwaldblues
Iris
Terheyde hatte sich in eine wild gewordene Furie verwandelt, die mit einem
Fleischermesser hinter ihm her war.
Iris schaute auf die Uhr. Sie ahnte die Stellung der
Zeiger mehr, als dass sie sie erkennen konnte. Das sah aus wie bald Mitternacht.
Auf dem nahen Waldfriedhof krächzte ein Vogel. Die feinen Härchen an ihren
Armen stellten sich auf, während sie nach dem passenden Dietrich suchte. Denn
natürlich waren die beiden Bauwagen abgeschlossen. Hätte sie bloß Trautmann
mitgenommen. Aber ihr verfluchter Stolz hatte sie zurückgehalten, sie wollte
ihn noch ein wenig in seinem schlechten Gewissen zappeln lassen.
Sie meinte Schritte zu hören, eine Bewegung zwischen den
Baumaschinen. Hier war schon alles vorbereitet, damit demnächst der Asphalt auf
die Fahrbahn des A-98-Abschnitts zwischen Hauenstein und Rothaus aufgebracht
werden konnte. Nein, da war doch nichts. Auch im Toilettenhäuschen rührte sich
nichts. Wahrscheinlich nur ein Fuchs. Vielleicht ein Wildschwein oder ein Marder.
Ah, endlich. Die Tür des ersten Bauwagens ging leise knarrend auf.
Wieder hielt Iris inne, um sich zu vergewissern, dass sich nichts rührte. Die
Fenster der umliegenden Einfamilienhäuser blieben zu. Es brannte nur noch
hinter wenigen Vorhängen Licht. Und das würde vermutlich auch bald ausgehen.
Die Alemannen waren ein arbeitsames Volk, standen früh auf und gingen deshalb
zeitig ins Bett. Insbesondere die Bewohner dieser Häuser, denn sie hatten noch
Hypotheken abzuzahlen.
Die Siedlung im Baugebiet Weihermatt war erst vor wenigen Jahren
entstanden – und so nah an der Baustelle für die Autobahnzufahrt und den
Rappensteintunnel, dass die Bewohner mit Sicherheit seit vielen Monaten frühmorgens
vom Baulärm aus dem Bett geworfen wurden.
Wenigstens der Rappensteintunnel war inzwischen fertig. Aber die
Sprengarbeiten hatten sicherlich einige der Häuser zum Erzittern gebracht. Und
einige der Särge im nahen Waldfriedhof, einst ein romantischer Ort. Auch den
ihrer Mutter. Von der Totenruhe war derzeit nicht mehr viel übrig. Vielleicht
wurde es ja besser, wenn die Zufahrt fertig war. Das würde auch für
Erleichterung bei den Pächtern der Kleingartenanlage sorgen, die sich jenseits
der Straße hinter einem Schotterparkplatz und einer »Wertstoffstation« in einer
Senke bis in den Wald zog. Genauer: bis zu dem, was vom Wald noch übrig
geblieben war.
Der Mond kam hinter einer Wolke hervor. Schon den ganzen Tag war
Gewitterstimmung gewesen, hatten sich Wolken zusammengeballt und wieder
verzogen. So auch jetzt. Doch den dringend benötigten Regen hatte das nicht
gebracht. Immerhin konnte Iris im Mondlicht nun etwas besser sehen. Rechts
neben der Tür stand ein Schreibtisch mit Plänen. Das war wohl das Büro der
Bauleitung. Da hatte sie ja gleich den richtigen Wagen erwischt. Bei ihrem
Glück hätte sie ja auch zuerst an den »Sozialraum« der Bauarbeiter geraten
können. Allerdings musste sie dort wohl auch noch hinein. Denn hier war, soweit
sie das auf den ersten Blick erkennen konnte, kein Sprengstoff deponiert.
Moment, an der Rückwand des Bauwagens stand ein schmaler Spind. Vielleicht war
er da eingeschlossen. Aber zunächst würde sie den Schreibtisch durchsuchen.
Sie kruschtelte in den Plänen. Mist, sie konnte alles nur recht
verschwommen erkennen. Sie kniff die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren.
So langsam konnte sie sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, dass sie
wohl doch mal ihre Augen untersuchen lassen sollte. Trotz ihrer
Sicherheitsbedenken beleuchtete sie die Pläne mit der Taschenlampe. Na also,
ging doch. Aha, die Zufahrt sollte die Form eines Kleeblattes bekommen.
Ansonsten war da nichts Interessantes. Sie knipste die Taschenlampe
sicherheitshalber wieder aus. Dann ruckelte sie an den Schreibtischschubladen.
Sie waren abgeschlossen. Wieder half einer der Dietriche an ihrem
Schlüsselbund. In der obersten linken fand sich allerlei Krimskrams. Was sich eben
ansammelt, wenn man lange irgendwo arbeitet. Eine Kappe, Sonnenschutzcreme,
eine Sonnenbrille, eine Dose Energie-Drink. In der Schublade darunter lagen
allerlei Schnellhefter. Iris blätterte sie durch. Nichts.
Ähnlich war es in der oberen Schublade auf der rechten Seite. Es sah
aus, als hätte sie sich diesen Ausflug sparen können. Ungeduldig zerrte sie die
letzte Schublade heraus. Mit dem Ergebnis, dass diese ganz aus ihrer Halterung
rutschte und sich der Inhalt auf dem Boden verstreute.
Oh nein! Natürlich, so etwas konnte
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