Hotzenwaldblues
wieder nur ihr passieren. Sie
machte sich leise schimpfend daran, die Papiere zusammenzuklauben und fluchte
noch ein wenig lauter, als sie feststellte, dass sie aus drei verschiedenen
Schnellheftern stammen mussten, die ebenfalls auf dem Boden gelandet waren.
Konnten die Leute ihren Kram nicht ordentlich lochen und festmachen? Jetzt
musste sie sich jedes einzelne Stück Papier genau anschauen, um herauszufinden,
aus welchem Hefter es stammen könnte. Das konnte Stunden dauern. Und das bei
dem Licht! Sie hätte die Taschenlampe lieber nicht erneut angeknipst. Aber es
half nichts. Hoffentlich schaffte sie es, alles wieder so einzuordnen, dass
niemand ihren nächtlichen Besuch bemerkte.
Blatt für Blatt wanderte wieder in einen der Hefter.
Was war das denn? Lohnlisten. Sie zog ihren kleinen Block aus der
Jackentasche und schrieb die Namen ab. Es waren viele mit der Endung -ic
darunter. Der Glückliche würde dafür sorgen, dass die Leute überprüft wurden.
Wer war denn der Arbeitgeber? Da stand es ja. Die Firma Gurtweiler, offenbar
auch ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft um Beat Stümpfli. Ah, und hier, das
waren Lohnlisten des Schweizer Bauunternehmers. Auch er schien eine Vorliebe
für Beschäftigte mit slawisch anmutenden Namensendungen zu haben. Einige der
Namen hatte er handschriftlich notiert. Iris füllte Seite um Seite.
Als sie den Schnellhefter und die beiden Sammelmappen wieder in die
Schublade legen wollte, fiel ihr ein Notizbuch auf, das noch darin lag. Sie
blätterte darin herum. Und hätte es am liebsten gleich eingesteckt. Doch das
durfte sie nicht. Sonst wäre es als Beweismittel wertlos. Sie musste umgehend
den Glücklichen aus dem Bett klingeln. Die Polizei musste hier eine Razzia
machen, sofort, ehe es verschwand.
Jemand, der Schrift nach zu urteilen Beat Stümpfli, hatte in dem
Notizbuch Namen aufgeführt und dahinter Summen notiert. Regelmäßige Zahlungen,
jeweils am dritten des Monats. Sie sah einige Namen, die sie kannte.
Insbesondere drei fielen ihr auf: Hanspeter und Frank Gerber sowie Fred
Malzacher. Obwohl sie gänzlich andere Berufe hatten, standen sie demnach auf
der Lohnliste des Schweizer Bauunternehmers. Der hatte außerdem erst an diesem
Morgen per Online-Banking fünfzigtausend Franken auf ein Nummernkonto der
Aargauer Kantonalbank überwiesen. Auf jeden Fall stand »online« hinter der
Summe. Fünfzigtausend Franken, das waren nach derzeitigem Kurs etwa
vierzigtausend Euro. Je nach Datum der Abhebung vielleicht sogar mehr. Der
Franken war wegen der Finanzkrise auf dem Höhenflug. Ein ganz schönes Sümmchen.
Vielleicht für jemanden, der den Auftrag hatte, Bomben zu basteln?
Aber warum sollte Stümpfli so etwas tun? Er musste doch eher ein
Interesse daran haben, dass die Bauarbeiten zügig vorangingen, um an
Anschlussaufträge zu kommen. Wofür also? Wurde er am Ende gar von den
Gerber-Brüdern und Fred Malzacher erpresst? Und musste diese Summen abdrücken,
weil er eine Leiche im Keller hatte, von der die Männer wussten? Es kam aber
auch Bestechung in Frage. Ja, natürlich, daher musste Stümpfli seine guten
Informationen haben.
Andererseits, da war diese Überweisung. Erpressungs- oder Bestechungsgelder
flossen meist nicht über Konten. Schwarzgeld vielleicht? Nein, das auch nicht.
Überweisungen waren eine schlechte Zahlungsmethode, wenn jemand etwas verbergen
wollte. Sie notierte sich die Nummer des Empfängerkontos.
Wie auch immer. Hier war etwas oberfaul im Staate Dänemark. Jetzt
würde Felix mit Sicherheit seinen Durchsuchungsbefehl bekommen und sich auch
gleich den anderen Bauwagen vornehmen, um selbst nach dem Sprengstoff zu
suchen, den es hier mit Sicherheit irgendwo gab. Schließlich war das eine
Autobahnbaustelle. Hoffentlich war der Glückliche mit seinen Leuten rechtzeitig
hier, um die Spuren ihres Einbruches zu verwischen. Iris war sich nämlich keineswegs
sicher, ob sie alle Blätter wieder richtig in die dazugehörigen Sammelmappen
einsortiert hatte. Sie zückte ihr Handy.
10
Iris war bereits um sechs Uhr wach und strebte nach dem
morgendlichen Klogang als Erstes zu ihrem Laptop, bootete und loggte sich bei
»Gateway one« ein. Das war ein Webmail-Account, zu dem nur der Glückliche und
sie das Passwort hatten. Wer dem anderen eine Nachricht zukommen lassen wollte,
tat dies über den Ordner »Entwürfe«, so gingen gar keine Mails mehr hin und
her.
Es dauerte eine Weile, bis sie hineinkam. Die Verbindung
verschluckte sich dauernd. Nichts. Kein Entwurf,
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