House of God
fuhr hoch. Ich hatte Angst, etwas zwischen uns kaputt gemacht zu haben, durch den Streit mit ihm in Gomer-City, und weil ich ihn während meiner Zeit auf der Intensiv gemieden hatte. Ich mußte ihn sehen, sofort, und mit ihm reden.
»Ich muß zum Dicken«, sagte ich und lief zur Tür. »Muß mit ihm reden, bevor es zu spät ist!«
»Es ist drei Uhr morgens, Roy. Was willst du ihm sagen?«
»Das es mir leid tut … daß ich ihn mag … und danke.«
»Er wird nicht sehr begeistert sein, wenn du ihn mitten in der Nacht weckst.«
»Ja. Verdammt«, sagte ich und setzte mich wieder. »Ich hoffe, es ist noch Zeit.«
»Bestimmt. Bei Menschen wie ihm immer.«
Das war der Anfang. Es brauchte seine Zeit, wieder Menschlichkeit herzustellen. Und noch Monate, nein, Jahre danach, hatte ich immer wieder einen Alptraum: Ich war auf einer eisigen Metallplatte festgeschnallt und wälzte mich hin und her, um mich zu befreien, dann rannte und rannte und rannte ich in einem Marathonlauf vor dem Tod davon.
Während ich mich bemühte, wieder menschlich zu werden, fragte ich mich, was genau mir eigentlich gefehlt hatte. Und von einer anderen Zeit, einem anderen, tropischen, vom Bürgerkrieg zerrissenen Land, und wie ein Mann, der dem Erschießungskommando stolz seine Brust entgegenwölbt und zurückdenkt an einen hellen jungen Sommer und an einen mit bunten Bändern und Tauben geschmückten Liebesbrief, begriff ich, daß mir alles gefehlt hatte, was ich liebte. Ich mußte mich ändern. Ich wollte dieses Land der Liebe nicht wieder verlassen.
23
»Was machst du am ersten Juli?« fragte ich Chuck.
»Wer weiß, Mann, wer weiß? Nur das hier will ich nie mehr machen.«
Es war der erste Mai. Ich war im Dienstzimmer von 4 -Süd, meiner letzten Stations-Rotation. Ich lag auf dem oberen Bett. Das war ungewöhnlich. Die
Interns
benutzten immer das untere Bett, damit sie nicht Gefahr liefen, aus der orthopädischen Höhe zu Boden zu gehen und sich die Hüfte zu brechen. Aus irgendeinem Grund wollte ich oben schlafen, dicht unter der Decke, weit vom Ort des Geschehens entfernt. Ich hatte mir Kissen geholt, war die Leiter hinaufgestiegen und hatte mich in eine friedvolle Horizontale begeben, dicht an die Wand gekuschelt. Nun starrte ich an die erbsengrüne, seegrüne Decke. Sehr hübsch. Ich wünschte, das obere Bett hätte Seitengitter wie ein Gomerbett oder eine Wiege. Ich wünschte mir Nahrung, eine Brust, eine Brustwarze, warum nicht?
Hier wollte ich bleiben. Die anderen würden versuchen, mich wegzuholen und manchmal würden sie es vielleicht schaffen. Ich hatte jetzt etwas zu tun. Nachdem ich die Ärztekrankheit erkannt hatte, war ich noch nicht sicher, ob ich ihr entkommen würde. Oh ja, ich mußte arbeiten, an Mitleid, an Liebe. Wie ein Parkwächter, der mit einem Stock mit Stahlspitze durch den dunkel werdenden Sommerpark am Meer wandert und um den Musikpavillon herum die Spuren einer Hochzeit aufpickt, so mußte ich die verstreuten Fetzen meines Selbst unter dem Regenbogen von Konfetti aufsammeln, das von der Brise aus der Bucht aufgewirbelt wurde. Von meinem oberen Bett aus konnte ich durchs Fenster den Zock-Flügel sehen, der langsam Gestalt annahm. Mit dem Frühling schienen die Arbeiter wie ausgewechselt, und genau gegenüber, in der totschicken Gastroenterologie-Radiologie-Suite, lagen goldene Armaturen wie Pilze auf dem dicken, grünen Teppich. Dieser neue Zock-Flügel bot Hoffnung für das
House of God,
für die Menschen. Meine Hoffnung war, das Jahr heil zu Ende zu bringen.
Am ersten Juli bekannte sich der medizinische Berufsstand zu seinem einzigen Spiel, dem Großen Stühlerücken. Man mußte das Spiel allerdings im voraus spielen. Alle
Interns
im
House of God
hatten sich mit dem einen Jahr
Internship
stillschweigend für ein zweites Jahr als
Resident
verpflichtet. Für einige, wie zum Beispiel Howie, war das phantastisch, zwei Jahre als »richtiger Doktor« war doppelt so gut wie eins. Grinsend, paffend, schien er das
Internship
in vollen Zügen zu genießen. Übervorsichtig und unentschlossen wie er war, galt er anerkanntermaßen als schlechtester
Intern.
Weil er sich fürchtete, den Patienten wehzutun oder ein Risiko einzugehen, praktizierte er eine homöopathische, nahezu gar nicht vorhandene Medizin.
»Weißt du«, sagte ich zu Chuck, »diese Antibiotikum-Dosis, die Howie der Frau da unten verabreicht hat, ist ungefähr so wirksam wie das Millionstel einer Aspirintablette.«
»Wie, wenn du in den Wind
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