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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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glattes, blondes Haar zerzaust. Er hatte Blut unter den Fingernägeln und Erbrochenes auf den Schuhen. Seine Augen waren gerötet, wie die Augen eines kranken Kaninchens. Neben ihm saß Ina, auf einen Stuhl geschnallt, den Footballhelm der RAMS noch auf dem Kopf. Potts schrieb etwas in ihre Akte. Ina gelang es, sich zu befreien. Sie kreischte: »Geh weg geh weg geh weg …«, und versetzte Potts einen Schlag mit ihrer linken Faust. Wütend schrie Potts, der sanfte, Molière lesende Potts aus der Legare Street:
    »Verdammt, Ina, halt’s Maul und benimm dich!« und schubste sie in den Stuhl zurück. Ich konnte es nicht glauben. In einer einzigen Nacht im Dienst war aus einem Südstaaten-Gentleman ein Sadist geworden.
    »Hallo, Potts, wie war’s letzte Nacht?«
    Er hob den Kopf und antwortete mit Tränen in den Augen:
    »Wie es war? Entsetzlich. Der Dicke hat mir zwar gesagt: ›Mach dir keine Sorgen, die
Privates
wissen, daß die neuen
Interns
hier sind und nehmen nur Notfälle auf.‹ Aber was passiert? Ich kriege fünfeinhalb Notfälle.«
    »Was ist ein halber?«
    »Eine Überweisung von einer anderen Station. Ich habe den Dicken auch danach gefragt, und er antwortete: ›Solange Sie nur halb für die Aufnahme zuständig sind, machen Sie auch nur die halbe Untersuchung.‹«
    »Welche Hälfte?«
    »Welche du willst. Bei diesen Patienten bin ich für die obere, Roy.«
    Ina versuchte wieder, aufzustehen, und gerade als Potts sie auf ihren Stuhl zurückstieß, kamen der Dicke und Chuck.
    »Ich sehe, Sie haben meinen Rat nicht befolgt und Ina hydriert, stimmt’s?« fragte Dickie.
    »Yes Sir,« sagte Potts verlegen. »Ich habe sie hydriert, und Sie hatten recht, sie wurde gewalttätig. Sie hat sich völlig psychotisch aufgeführt, deshalb habe ich ihr ein Antipsychotikum gegeben, Thorazin.«
    »Sie haben ihr
was
gegeben?«
    »Thorazin.«
    Der Dicke lachte laut los. Große, dicke Tränen rollten ihm über die Wangen zum Kinn und tropften auf seinen Bauch, als er sagte:
    »Thorazin! Darum benimmt sie sich wie ein Schimpanse. Ihr Blutdruck wird nicht höher als sechzig sein. Holt mal eine Manschette. Potts, Sie sind phantastisch. Ihr erster Tag
Internship
und Sie versuchen, einen Gomer mit Thorazin umzubringen. Ich habe ja schon viel von militanten Südstaatlern gehört, aber das ist einsame Spitze.«
    »Ich habe nicht versucht, sie umzubringen …«
    »Blutdruck fünfundfünfzig systolisch«, sagte Levy, der BMS .
    »Legt sie flach auf ihr Bett«, sagte der Dicke. »Damit wieder Blut in ihren Kopf kommt.«
    Während Levy und die Schwester Ina in ihr Zimmer brachten, erklärte uns der Dicke, daß Thorazin bei Gomers den Blutdruck senkt, so daß die höheren Regionen nicht mehr durchblutet werden.
    »Ina hat versucht, aufzustehen, um sich hinlegen zu können. Sie hätten sie fast geschafft.«
    »Aber letzte Nacht ist sie völlig durchgedreht.«
    »Sonnenuntergang«, sagte Dickie. »Da passiert das immer mit den Gomers im
House.
Sie sind verwirrt. Wenn die Sonne untergeht und es dunkel wird, drehen sie durch. Kommt, gehen wir die Karten durch, ja? Thorazin? Entzückend.«
    Der Dicke nahm sich die Akten vor, fing bei den fünfeinhalb Aufnahmen an, die Potts zum Sadisten gemacht hatten. Wie am Tag zuvor mußte ich feststellen, daß das meiste, was ich auf der BMS gelernt hatte, entweder unwichtig oder falsch war. Der dehydrierten Ina ging es nach der Hydrierung schlechter. Bei Depression war ein Bariumeinlauf angesagt, und die richtige Behandlung für Potts’ dritte Aufnahme – einem Mann mit Bauchschmerzen, der genau wußte, daß alle Ärzte Nazis sind, »ich bin nur nicht sicher, wer von Euch Himmler ist« – war weder ein Bariumeinlauf noch eine Kolonpassage, sondern etwas, was der Dicke eine »Abschiebung zur Psychiatrie« nannte.
    »Abschiebung?« fragte Potts.
    »Abschieben, loswerden, aus deiner Station in eine andere oder ganz aus dem
House
abschieben. Grundwissen. Die wichtigste Art der Behandlung in der Inneren. Ruf die Psychiatrie an, erzähl ihnen das mit den Nazis, sag aber nichts von den Bauchschmerzen und
presto:
Abschiebung in die Psychiatrie.« Er zerriß das Blatt des Nazijägers und warf die Schnipsel über die Schulter.
    »Eine Abschiebung, entzückend. Weiter. Der Nächste.«
    Potts präsentierte seine letzte Aufnahme, einen Mann unseren Alters, der mit seinem Sohn Baseball gespielt hatte und beim Versuch, einen knallharten, geraden Ball zu treffen, bewußtlos an der Grundlinie zusammengebrochen

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