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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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hörte er sich meine Diagnose an und ging in den Gyn-Raum. Um meinen Ruf besorgt, zog ich mich auf die Toilette zurück. Nach wenigen Minuten brüllte draußen ein Bauerntrampel mit Alabama-Dialekt:
    »Basch, Jungäh? Häy, Jungäh, sind Sie dadrin?«
    »Ja.«
    »Könn wir alle mal reinkommen, Jungäh?«
    »Wozu?«
    »Zum Gratulieren. Nach Meinung von Dr. Dwayne Gath,
Resident
der Chirurgie in dieser Notaufnahme, haben wir einen Schnappi. Supa!«
    »Was ist ein Schnappi?«
    »Schnappi? ›pendix. Du gehst rein mit dem Messer, findest ihn, schnappst ihn.
Du machst es immer besser mit dem kalten Messer.
Basch, Sie haben einem hungrigen Chirurgen die Möglichkeit zum Schneiden gegeben. Und die Chance, zu schneiden ist die Chance, zu heilen. Wir werden die olle Princess aufmachen, schneller, als du kucken kannst.«
    Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, öffnete die Tür der Toilette und sah in das Spiegelbild des guten Pfadfinders, der gerade einem befreundeten Chirurgen die Möglichkeit verschafft hatte, in menschlichem Fleisch herumzuschneiden.
    Ich fühlte mich besser und sah mir die anderen Patienten an. Doch bald versank ich wieder in dem alten Sumpf, dem Sumpf aus einsamen Horrendomen, LADs in GAZ und Gomers mit Multiorganerkrankungen, deren Ausmaß oft, laut Lehrbuch, »unvereinbar mit dem Leben« war. Ich stürzte mich in die Arbeit, tat Dinge, die ich schon auf Station getan hatte, nahm Krankengeschichten auf, untersuchte Patienten, legte Zugänge, Nahrungssonden, Dauerkatheter, fing an, sie zu behandeln, sie wieder auf den Weg zurück in ihre Demenz zu bringen. Nachdem ich drei Patienten dieser Art gesehen hatte, kam ich in die Stationszentrale zurück und fand die Klemmappen turmhoch auf meinem Tisch. Ein Gefühl von Sinnlosigkeit überkam mich. Ich sah keine Möglichkeit, dieser Anhäufung von Leibern Herr zu werden. Wie sollte ich mich um alle kümmern? Wie sollte ich überleben?
    »Sie wollen hier überleben?« fragte Dini und zog mich zur Seite.
    »Ja.«
    »Gut. Dann gelten zwei Regeln: 1 . Behandeln Sie nur die lebensgefährlichen Notfälle. 2 . Alles andere abschieben. Sie wissen, was das heißt?«
    »Ja, hat mir der Dicke beigebracht.«
    »Ach ja? Na prima. Dann wissen Sie ja Bescheid. Wie sagt er so schön: frisieren und abschieben. Ist nicht einfach, die Notfälle von den Simulanten zu unterscheiden, vor allem während der Feiertage. Und noch schwerer ist es, sie abzuschieben, ohne daß sie zurückkommen. Das ist ’ne Kunst. Wenn’s keine Notfälle sind, behandeln wir nicht. So, und jetzt gehen Sie frisieren und abschieben, auf Deubel komm raus.«
    Welche Erleichterung. Vertrautes Dickie-Terrain. Jene Körper sollten die Ruhe, die sie hier suchten, nicht finden. Sie würden entweder zurück auf die Straße, nach oben in die Stationen, oder, wenn sie tot waren, runter in die Leichenhalle abgeschoben werden. Die hereinströmenden Gomers mochten so schrill schreien, wie sie wollten, ich würde jedem Fall mit der ruhigen Gewißheit begegnen, daß er bald sonstwohin abgeschoben sein wird. Der Gedanke war immer noch überwältigend: ärztliche Versorgung besteht darin, den, der Behandlung sucht, zu frisieren und irgendwohin abzuschieben. Die Drehtür, am Ende war immer die ewige Drehtür.
    Die Aufgabe hieß, sorgfältig Krankheit von Hypochondrie zu unterscheiden. Der Warteraum war überfüllt mit einsamen, hungrigen Menschen, die einen warmen Platz für die Winternacht suchten, der zugleich sauberes Bettzeug, gutes Essen und die Fürsorge einer knackigen Schwester mit rundem Po und einen richtigen Arzt zu bieten hatte. Ein »Erfass’ sie und entlass’ sie« war nicht einfach. Viele der angeblich Kranken hatten in langjähriger Erfahrung mit dem
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ausgeklügelte Methoden entwickelt, um hineinzukommen. Ich war noch kein halbes Jahr
Intern,
und ihre Erfahrung war bis zu neunzig Jahre alt. Es reichte oft, vor Jahren einmal einen
Tern
an der Nase herumgeführt zu haben, dann hatte man einen Befund in einer alten Akte. Denn da jeder mit einem Prozeß drohen konnte, war es für uns schier unmöglich, eine einmal dokumentierte Krankheit zu ignorieren. Manche hatten in der Gemeindebücherei ihre eigene Diagnose studiert und wußten mehr über ihre Krankheit als ich. Irgendein Symptom einer einmal dokumentierten Krankheit konnte in jeder beliebigen Nacht wieder hervorgezaubert werden, und der Leidende mußte im
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aufgenommen und gehätschelt und getätschelt werden.
    Ich begann,

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