House of Night 7. Verbrannt
von Zoey ab. »Nun ja, es handelt sich um einen alten Glauben, den unsere Gesellschaft oder zumindest unsere Priesterinnen nie gänzlich akzeptiert haben.«
»Warum nicht?«, fragte Aphrodite.
»Er basiert auf Kampf und Gewalt und dem Zusammenstoß der rohen Kräfte des Guten und des Bösen.«
Aphrodite schnaubte. »Sie meinen Männerkram.«
Thanatos hob die Brauen. »So ist es.«
»Warten Sie mal. Warum soll es Männerkram sein, wenn man an den Kampf Gut gegen Böse glaubt?«, fragte Stark.
»Es geht nicht um den bloßen Glauben, dass es ein Gutes gibt, das das Böse in der Welt bekämpfen sollte. Es geht darum, dass Licht und Finsternis in ihrer primitivsten Form personifiziert werden, als Kräfte, die so aufeinander fixiert sind, dass die eine nicht ohne die andere existieren kann, obwohl sie unablässig versuchen, sich zu verschlingen.« Wieder seufzte Thanatos, als alle ihr verständnislose Blicke schenkten. »Eine der frühesten Darstellungen von Licht und Finsternis war die vom Licht als einem riesigen schwarzen Stier und der Finsternis als einem riesigen weißen Stier.«
»Hä? Sollte nicht die Finsternis schwarz und das Licht weiß sein?«, fragte Jack.
»Das sollte man meinen, aber genau so wurden sie in unseren antiken Schriftrollen beschrieben. Dort stand geschrieben, jede der beiden Kreaturen, Licht und Finsternis, trage etwas in sich, wonach sich die andere bis in alle Ewigkeit sehnen werde. Man stellte sie sich als zwei Stiere vor, strotzend vor Macht, in ewigen Zweikampf verstrickt, wobei jeder versuchte, dem anderen etwas zu entreißen, was er niemals erlangen konnte, ohne sich selbst zu vernichten. Einmal, als junge Hohepriesterin, habe ich eine bildliche Darstellung dieses Kampfes gesehen, und ich habe nie vergessen, wie ungezähmt und wild er aussah – geradezu verstörend. Die Hörner der beiden Stiere waren ineinander verhakt, ihre Nüstern gebläht. Beide drängten mit aller Kraft aufeinander zu, Blut spritzte nach allen Seiten. Es war ein Patt von beängstigender Intensität. Schon das Gemälde schien vor Macht zu beben.«
»Maskuline Kraft«, sagte Darius. »Auch ich habe diese Darstellung gesehen, während meiner Ausbildung als Krieger. Sie zierte den Einband der Schriften mancher der größten Krieger der Geschichte.«
»Schon klar, warum die Priesterinnen das so gründlich wie möglich vergessen wollten«, sagte Erin.
»Aber echt, Zwilling«, nickte Shaunee. »Viel zu großer Hype um Muckis und Revierkämpfe, wo es bei uns doch eher um Frauenpower geht.«
»Unser Glaubenssystem beruht aber nicht darauf, dass die weibliche Kraft die männliche unterdrückt«, sagte Darius, »sondern auf einem gesunden Gleichgewicht zwischen den beiden.«
»Nein, Krieger. Unser Glaubenssystem
sollte
nicht darauf beruhen, dass weibliche Kraft die männliche unterdrückt. Aber wie beim Licht und der Finsternis ist es ein ewiger Kampf, das Gleichgewicht zwischen beiden zu finden, ohne dass die eine die andere vernichtet. Denkt an die Bildnisse der Nyx mit ihrer femininen Schönheit und Anmut, die wir tagtäglich um uns haben. Nun stellt euch dagegen ein Bildnis roher Kraft vor, in Form zweier sich bekämpfender kraftstrotzender männlicher Kreaturen. Könnt ihr begreifen, dass in einer Welt, die versuchte, beides zu vereinen, Krieg herrschen würde und daher eines der beiden unterdrückt werden muss, damit das andere gedeihen kann?«
Aphrodite schnaubte. »Nicht schwer vorzustellen. Und ich kann mir
nicht
vorstellen, dass der verklemmte Hohe Rat was mit zwei großen wilden Stieren und allem, wofür sie stehen, zu tun haben wollte.«
»Sie meint, außer Ihnen.« Stark sah Aphrodite finster an und bedeutete ihr mit dem Blick:
War das jetzt nötig?
Thanatos lächelte. »Nein, Aphrodite hat recht. Über die Jahrhunderte hat sich der Rat verändert, vor allem über die letzten vier, die ich miterlebt habe. Einst war er eine lebendige, natürliche Kraft, auf seine Weise sehr primitiv und in seiner Macht beinahe barbarisch. Aber in der modernen Zeit ist er …« Die Hohepriesterin suchte nach einem Wort.
»Zivilisiert geworden«, schlug Aphrodite vor. »Überzivilisiert.«
»So ist es.«
Aphrodites blaue Augen weiteten sich. »Und zu viel Zivilisiertheit hat nicht unbedingt Vorteile, vor allem wenn man’s mit zwei Stieren zu tun hat, die gegeneinander anstampfen und alles niedertrampeln, was sich ihnen in den Weg stellt.«
»Zoey ist dem Licht wahnsinnig nahe«, sagte Damien leise.
»So nahe,
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