House of Night 7. Verbrannt
brüllte er frustriert. »Ich kenne die Finsternis – du nicht!«
Doch noch während er es aussprach, gestand er sich ein, dass das nicht stimmte. Nachdem Stevie Rae gestorben war, war sie von der Finsternis berührt worden. Damals hatte er sie noch nicht gekannt, aber er hatte Stark kennengelernt und konnte bezeugen, dass Tod und Auferstehung der Jungvampyre von Finsternis begleitet waren.
»Aber sie hat sich für das Licht entschieden.« Diesmal sprach er sehr leise. »Und das Licht unterschätzt stets die Grausamkeit, zu der die Finsternis fähig ist.«
Die Tatsache, dass ich lebe, ist ein Beweis dafür.
Eine andere Tatsache war, dass Stevie Rae ihn jetzt brauchte. Dringend.
»Stevie Rae, wo bist du?«, flüsterte er.
Nur die rastlose Erregung der Geistwesen antwortete ihm.
Konnte er eines von ihnen dazu überreden, ihn zu der Finsternis zu führen? Aber nein; sofort verwarf er die Idee. Ein Geistwesen würde sich der Finsternis nur dann nähern, wenn es von ihr gerufen wurde; ansonsten zogen sie es vor, sich aus der Ferne von den schwachen Resten der Macht zu nähren, die sie ausstrahlte. Und er durfte nicht abwarten, ob es der Finsternis einfallen würde, eines zu rufen. Er musste herausfinden –
» REPHAIM !«
Gespenstisch hallte Stevie Raes Schrei an seine Ohren. Ihre Stimme war voller Schmerz und Verzweiflung. Der Klang traf ihn tief ins Herz. Er wusste, dass seine Augen rot aufloderten. Er wollte zuschlagen, reißen, vernichten. Der Nebel aus scharlachrotem Zorn, der ihn zu überwältigen drohte, war ein verführerischer Fluchtweg. Wenn er ihm nachgab, würde er sich in der Tat in etwas verwandeln, was mehr Tier als Mensch war, und diese ungewohnte, unbehagliche Besorgnis, die er für sie zu fühlen begonnen hatte, würde ihr Ende in rohem Instinkt und gedankenloser Gewalt finden, der er Luft machen konnte, indem er über die Menschen in einem der dunklen Häuser in der Nähe des leblosen Museums herfiel. Eine Zeit lang würde ihn das befriedigen. Eine Zeit lang würde er nicht mehr fühlen.
Warum nicht dem Zorn nachgeben, der sein Leben schon so oft verzehrt hatte? Es würde leichter sein – vertrauter – sicherer.
Wenn ich dem Zorn nachgebe, wird die Verbindung zu ihr brechen.
Der Gedanke durchzuckte ihn wie ein Schock. Und der Schock verwandelte sich in helle Lichtfunken, die den roten Nebel vor seinen Augen durchbrachen.
»Nein!«, schrie er und ließ die Menschlichkeit in seiner Stimme das Tier in ihm zurückdrängen. »Wenn ich sie der Finsternis überlasse, wird sie sterben.« Rephaim atmete in langen, tiefen Zügen. Er musste sich beruhigen. Er musste nachdenken. Der rote Nebel löste sich weiter auf, und sein Gehirn kam wieder in Gang.
Ich muss mich unserer Verbindung und unseres Blutes bedienen!
Rephaim zwang sich, ganz ruhig zu werden und die Nacht einzuatmen. Er wusste, was er zu tun hatte. Er nahm noch einen tiefen Atemzug, dann sprach er: »Wie es mein angestammtes Recht ist, rufe ich die Geistesmacht der uralten Unsterblichen zu mir.« Er wappnete sich gegen den Entzug von Kraft, den die Beschwörung seinem geschwächten Körper zufügen würde, aber als er Macht aus den Schatten zu sich zog, spürte er überrascht, wie ihn eine Woge der Energie überrollte. Die Nacht schien zu pulsieren, war gesättigt von roher, urtümlicher Macht. Als er das erkannte, stiegen böse Ahnungen in ihm auf, dennoch machte er sie sich zu eigen, kanalisierte die Kraft und machte sich bereit, sie mit der Unsterblichkeit zu vermengen, die er in seinem Blut trug – Blut, an dem nun auch Stevie Rae Anteil hatte. Doch als sie ihn ausfüllte, wurde sein Körper von einer so wilden, primitiven Energie verzehrt, dass er auf die Knie fiel.
Dass gerade etwas Wundersames geschah, bemerkte er zunächst daran, dass er instinktiv beide Hände ausstreckte, um sich abzufangen – und beide Arme gehorchten ihm, auch derjenige, den er gebrochen in der Schlinge trug.
Zitternd, beide Arme ausgestreckt, blieb Rephaim auf den Knien hocken. Er atmete in raschen Stößen, während er beide Hände öffnete und schloss.
»Mehr!«, zischte er. »Komm zu mir!«
Wieder durchströmte ihn die finstere Energie, ein lebender Strom gefühlloser Gewalt, den er nur mit Mühe unter Kontrolle hielt. Rephaim erkannte, dass dieser Einstrom sich von allem unterschied, was er bisher erlebt hatte, wenn er die Mächte angerufen hatte, zu denen das Blut seines Vaters ihm Zugang gewährte, aber er war kein unerfahrener Jüngling.
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