House of Night 7. Verbrannt
umgab, schlängelten sich Fühler aus Finsternis und krochen immer näher zu ihr hin. Als sie sie berührten, war es, als würde ihr das Fleisch mit gefrorenen Rasierklingen zerschnitten, aufgepflügt, zerschreddert.
Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, schrie sie nur ein einziges Wort: »Rephaim!«
Rephaim
R ephaim spürte ganz genau, zu welchem Zeitpunkt die Finsternis in die Welt drang. Er hatte auf der Dachterrasse gesessen, einen Apfel gegessen, in den klaren Nachthimmel hinaufgestarrt und mit aller Macht versucht, das lästige Menschengespenst zu ignorieren, das eine unglückselige Vorliebe für ihn entwickelt hatte.
»Komm schon, sag! Macht Fliegen wirklich solchen Spaß?«
, fragte der Kindergeist, wie es Rephaim vorkam, wohl zum hundertsten Mal.
»Wenn man’s von unten sieht, dann sieht’s aus, als würde es riesigen Spaß machen. Und ich bin zwar noch nie geflogen, aber ich wette, mit eigenen Flügeln zu fliegen ist noch viel toller als mit dem Flugzeug.«
Rephaim seufzte. Das Kind plapperte mehr als Stevie Rae, und das war eine beeindruckende Leistung. Lästig, aber beeindruckend. Er versuchte, sich darüber klarzuwerden, ob er sie weiter ignorieren und hoffen sollte, dass sie endlich verschwinden würde, oder ob er sich besser einen Alternativplan ausdachte, denn das mit dem Ignorieren zeigte bisher nicht viel Wirkung. Kurz fragte er sich, ob er Stevie Rae wegen des Gespenstes um Rat fragen sollte, was dazu führte, dass seine Gedanken sich wieder auf die Rote lenkten. Wobei – um ehrlich zu sein –, waren sie ja nie weit von ihr entfernt.
»Ist Fliegen gefährlich? Ich meine, mit Flügeln? Muss es wohl sein, denn du hast dich verletzt, ich wette, das kommt davon, wenn man durch die Gegend fliegt …«
In das Gequassel des Kindes hinein veränderte sich die Substanz der Welt. In jenem ersten, schockierenden Moment war da nur die Vertrautheit des Gefühls, und einen Herzschlag lang glaubte er, sein Vater sei zurückgekehrt.
»Still!«, fuhr er das Gespenst an, stand auf und wirbelte herum. Seine rotglühenden Augen durchforsteten die dunkle Landschaft um ihn herum, in der unsäglichen Hoffnung, die rabenschwarzen Fittiche seines Vaters zu erspähen.
Das Geisterkind gab ein furchtsames Kieksen von sich, wich vor ihm zurück und löste sich in Nichts auf.
Rephaim verschwendete absolut keinen Gedanken an es. Er hatte zu sehr damit zu tun, die Gefühle und Erkenntnisse zu verarbeiten, die auf ihn einströmten.
Zuerst kam die Erkenntnis. Innerhalb eines Herzschlags wusste er, dass es nicht sein Vater war, den er spürte. Sicher, Kalona war mächtig und schon sehr lange mit der Finsternis verbündet, aber das Ausmaß der Veränderung, die dieser Unsterbliche in die Welt brachte, war anders – weit mächtiger. Das spürte Rephaim an dem aufgeregten Echo der dunklen Dinge, die in der Erde verborgen lauerten, der Geistwesen, die in dieser modernen Welt voll menschengemachter Magie in Vergessenheit geraten waren. Aber Rephaim hatte sie nicht vergessen, und in den tiefsten Schatten der Nacht sah er sie zittern und wallen und staunte über ihr Gebaren.
Was konnte so mächtig sein, dass es die verborgenen Geistwesen aufstörte?
Und dann traf ihn Stevie Raes Furcht. Dieses primitive Gefühl schieren Entsetzens war es, gepaart mit der Erregung der Geister und der anfänglichen Vertrautheit, das Rephaim die Antwort brachte.
»Bei allen Göttern, die Finsternis selbst hat diese Welt betreten!« Ohne nachzudenken begann er sich zu bewegen. Er sauste zur Eingangstür der verfallenen Villa, brach sie mit seinem unverletzten Arm auf, als bestünde sie aus Pappe, doch auf der breiten Veranda hielt er abrupt an.
Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte.
Eine weitere Woge des Entsetzens schlug über ihm zusammen. Durch ihr gemeinsames Fühlen hindurch erkannte er, dass die Angst Stevie Rae lähmte. Ein schrecklicher Gedanke stieg in ihm auf:
Hatte Stevie Rae die Finsternis beschworen? Aber warum sollte sie? Wie konnte sie nur?
Die Antwort auf die wichtigste dieser drei Fragen kam ihm ebenso schnell wie die Frage selbst. Stevie Rae würde fast alles tun, wenn sie glaubte, es bringe ihr Zoey zurück.
Rephaims Herz hämmerte ihm in der Brust, sein Blut pulste rasch und hart durch seine Adern. Wo war sie? Im House of Night?
Nein, ganz sicher nicht. Wer sich vornahm, die Finsternis zu rufen, würde das nicht an einer dem Licht gewidmeten Schule tun.
»Warum bist du nicht zu mir gekommen?«,
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