Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
meinten, alle sterben zu müssen, aber es ging noch gnädig vorüber. Wahrhaftig, das war das unverdaulichste Sägmehl, was mir je vorgekommen, und Tom meinte das auch. Also, wie gesagt, endlich war alles fertig; die Arbeit und Plage hatten uns freilich ziemlich mitgenommen, namentlich Jim, aber das tat nichts, wir waren stolz darauf! Onkel Silas hatte ein paarmal nach New Orleans geschrieben wegen des durchgebrannten Niggers, aber natürlich keine Antwort erhalten. Nun sprach er davon, Jim in den Zeitungen von St. Louis und New Orleans auszuschreiben. Als er die von St. Louis nannte, lief mir ein kalter Schauder über den Leib, und selbst Tom gab zu, daß nun keine Zeit mehr zu verlieren sei. Jetzt müssen die onnaniemen Briefe dran, sagte er.
»Die was?« fragte ich.
»Die onnaniemen Briefe!« wiederholte er, »das sind Warnungen an die Leute, daß etwas los sei. Einmal wird's so gemacht und einmal anders. Aber einer muß immer herumspionieren und den Befehlshaber des Schlosses von allem in Kenntnis setzen. Als Ludwig XIV. von den Twillerieen durchbrennen wollte, hat's ein Dienstmädchen besorgt. So kann man's auch machen, aber ein onnaniemer Brief ist ebensogut. Wir können ja beides benützen. Und gewöhnlich wechselt die Mutter des Gefangenen die Kleider mit ihm und bleibt im Kerker zurück, während er wegschleicht. Das müssen wir auch tun!«
»Aber, Tom, das ist doch Unsinn; wozu sollen wir die Leute warnen, daß etwas los ist? Das ist doch ihre Sache; sie sollen selber aufpassen!«
»Das ist freilich wahr, aber ich traue denen hier nicht, die sind zu dickfellig, haben uns ja von Anfang an alles allein tun lassen. Die sind so blind und vertrauensselig, daß man ihnen erst alles unter die Nase reiben muß. Wenn wir sie also nicht warnen, lassen sie uns ganz ruhig und still abziehen, und all unsre viele Last und Arbeit ist umsonst – rein umsonst. Jims Befreiung geht dann ohne Sang und Klang vor sich, wir könnten ihm einfach ebensogut die Tür aufschließen und ihn bei hellem Tage bitten, doch gefälligst herauszuspazieren. Kein Hahn krähte danach!«
»Na, mir wär's schon lieber, wir kämen still durch, aber...«
»Natürlich!« wirft er verächtlich hin.
»Aber«, fahr' ich fort, ohne mich unterbrechen zu lassen, »ich will nichts gesagt haben; was dir recht ist, ist mir auch recht. Wie machen wir's also mit dem Dienstmädchen, das uns verraten soll?«
»Das mußt du sein! Du schleichst dich in der Nacht hin und nimmst dir das Kleid von dem gelben, halbwüchsigen Ding in der Küche!«
»Na, aber Tom! Das wird einen ordentlichen Lärm am andern Morgen geben, denn die hat wahrscheinlich nicht mehr als eins!«
»Ich weiß, ich weiß. Aber du brauchst ja auch nicht länger als fünfzehn Minuten, um den onnaniemen Brief unter der großen Haustür durchzuschieben!« – »Gut, ich bin bereit, aber ich könnt's gerad' so gut in meinen eignen Kleidern tun!«
»Würdest du dann vielleicht wie ein Dienstmädchen aussehen, Huck Finn, he?«
»Nein! Aber 's ist ja auch keiner da, der mich sieht, dann ist's doch gleich, ob ich so oder so aussehe.«
»Das hat gar nichts damit zu tun, Huck, gar nichts. Für uns handelt sich's nur darum, unsere Schuldigkeit zu tun, ob's einer sieht oder nicht. Hast du denn gar keine Moral in dir?«
»Schon gut, schon gut, ich sag' ja nichts weiter. Also, ich bin das Dienstmädchen – wer ist Jims Mutter?«
»Die will ich sein. Ich leih' mir eins von Tante Sallys Kleidern, das soll 'ne flotte Mutter werden!«
»Aber, dann mußt du ja in der Hütte bleiben, wenn Jim und ich durchgehen!«
»Lang aber nicht, das sag' ich dir. Ich stopfe Jims Kleider mit Stroh aus und leg' die Puppe aufs Bett, die mag dann die Mutter darstellen, und Jim zieht Tante Sallys Kleider von mir an, und wir entweichen alle zusammen. Wenn nämlich irgendein Gefangener von Rang und Stand durchbrennt, ein König zum Beispiel, so nennt man es eine Entweichung .«
Tom schrieb also den onnaniemen Brief, und ich krippste das Kleid von dem kleinen Küchenmädel in der folgenden Nacht, warf's über und schob den Brief unter die Tür, ganz wie mich's Tom geheißen hatte.
Im Brief stand:
»Hütet euch! Unheil naht! Seid auf der Wacht!
Ein unbekannter Freund.«
In der nächsten Nacht befestigten wir eine von Tom mit Blut verfertigte Zeichnung, die einen Totenschädel über gekreuzten Gebeinen darstellte, an der Haupttüre und in der darauffolgenden Nacht die eines Sarges an der Hintertür.
Nie sah ich eine
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