Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
einmal als das Beste bewertet haben, nicht mehr abrücken. Im geschilderten Einzelfall ist das ja noch nachvollziehbar, es gab schließlich Gründe, warum der Hund und nicht der Fisch den Sieg davongetragen hat. Doch wenn von dreißig Kindern kein einziges seine Entscheidung noch einmal widerruft, dann läuft da ein verdammt mächtiges Programm im Hintergrund ab: Eine einmal getroffene Entscheidung wird nicht mehr in Frage gestellt.
Ich will so bleiben, wie ich bin
Im Seminar fragte ich einmal jemanden, was für ein Auto er fährt. Er antwortete: »Einen Audi S8. Da fühle ich mich sicherer beim Überholen.« Der braucht ein 520-PS-Auto, um sich sicherer zu fühlen? Was genau läuft da eigentlich ab?
Wissenschaftler sprechen von dem Prinzip der Kohärenz: Alles ist tiptop im Leben, keine losen Enden, alles fügt sich zusammen. Jedes Puzzleteil ist an seinem Platz. Um das zu erreichen, wendet das Gehirn einen Trick an: sekundäre Rationalisierung. Mit nachträglichen Begründungen plausibilisiert es getroffene Entscheidungen. Das funktioniert wunderbar – auch wenn die Gründe manchmal ganz schön weit hergeholt sind. Das fängt beim Kauf teurer Schuhe an. »Die halten länger.« Aber ob das für den 300-Euro-Stiletto aus Mailand wirklich gilt, ist fraglich. Und ganz bestimmt ist das nicht der ausschlaggebende Kaufgrund gewesen.
Die sekundäre Rationalisierung ist ein Programm, das zunächst einmal sinnvoll erscheint. Es sagt dir: Du kannst dich auf dich verlassen. Wenn Zweifel gar nicht zugelassen sind, Alternativen ausgeblendet werden, dann gibt das Sicherheit. Eigentlich ist es ganz angenehm, wenn man von Geburt an so gepolt ist, dass das, wofür man sich einmal entschieden hat, auch das Beste bleibt. Dann kommen erst gar keine negativen Gefühle wie Zweifel auf: »Wäre es vielleicht doch besser gewesen, den Fisch zu nehmen? Ist der Hund wirklich der Schönste?« Mit einem »Jetzt, wo ich ihn habe, ist es ganz klar: Der Hund ist viel schöner als alle anderen« lebt es sich weitaus bequemer.
Einmal Zölibat, immer Zölibat
Dieser Mechanismus gilt für die Stofftier-Frage eines Vierjährigen genauso wie später im Leben für die Frage, für welche Automarke man sich entscheidet. Meistens heißt es: einmal Opel, immer Opel. Oder Mercedes. Oder Audi. Kommt drauf an. Wichtig ist nur, dass, sobald einmal die Richtung festgelegt, die Meinung gebildet und die Wahl getroffen wurde, sie im Nachhinein als die einzig mögliche dasteht. Alles andere ist dann automatisch Quark. Einmal Friseur »Cut Cat«, immer Friseur »Cut Cat«. Für Themen der Religion oder Ethik gilt das genauso: einmal Zölibat, immer Zölibat. Etwas zu ändern, was lange Zeit »funktioniert« hat, braucht einen immensen Energieaufwand. Selbst dann, wenn sich die Bedingungen geändert haben und eine Neuausrichtung von großem Vorteil wäre.
Der Grund, warum dieses Denken so gut funktioniert: Wenn alles, was du
nicht
gewählt hast, minderwertig ist, dann ist für dich alles bestens. Dann gibt es keine Alternativen zu dem, was du ohnehin tust und bist. Mit anderen Worten: Es gibt gar keinen Anlass, etwas zu ändern, also Entscheidungen zu treffen. Es kann alles so bleiben, wie es ist. Das ist eine sehr konservative Denk- und Handlungsweise. Das Gewohnte, das Bekannte hat Macht über uns. Es verschleiert den Blick auf die Realität. Platz für Neues ist da nicht. Und richtig vorwärts kommst du mit dieser Einstellung auch nicht. Wie ein Autofahrer, der seinen Blick vom Rückspiegel nicht lösen kann. Wie soll der denn bitteschön vorankommen?
Sich einmal auf etwas alternativlos festzulegen, ist der Auslöser einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Du sagst, die Salami vom Feinkosthändler XY sei die beste, dann wird sie es auch sein. Denn du kaufst ja gar keine andere mehr, mit der sie einen Vergleich aushalten müsste.
Man kann für dieses Verhalten viele Bezeichnungen finden: Die Skala reicht von Schönfärberei über Selbstgerechtigkeit und Sich-selbst-etwas-Einreden bis zu Realitätsverleugnung und Selbstbetrug. Die Erkenntnis, dass Menschen sich selbst betrügen, ist beileibe keine neue: »Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahr haben möchte, hält er auch für wahr«, sagte der griechische Staatsmann Demosthenes schon vor 2400 Jahren.
Wenn Routinen und Vorurteile dein Tun bestimmen, bekommst du statt des Besten nur das Bekannte.
Der Preis dafür, dass du niemals zugeben musst, dass du dich getäuscht hast oder
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