Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
auf dem falschen Dampfer fährst, ist hoch. Solange du nicht erkennst, was da mit dir passiert, und bewusst versuchst, diesem archaischen Mechanismus entgegenzuwirken, verzichtest du darauf, dein Leben frei und selbstbestimmt zu führen. Wenn Routinen und Vorurteile dein Tun bestimmen, bekommst du statt des Besten nur das Bekannte. Sich einzureden, alles sei bestens, wirkt wie ein Gurt, der dich an der Bewegung hindert. Wie schwer es ist, aus diesem Verhalten auszusteigen, wusste schon Einstein. Er sagte einmal: »Es ist leichter, ein Atom zu spalten, als ein Vorurteil.« Weil er sehr klug war, meinte er bestimmt nicht nur die Vorurteile anderer, sondern ganz besonders die eigenen Vorurteile.
»Ich muss gar nichts Neues in Angriff nehmen, es ist doch alles gut so, wie es ist« – allein diese Einstellung bereitet dir schon genug Probleme, zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung zu treffen. Ja, sie hindert dich schon sehr wirkungsvoll daran, überhaupt eine rationale Entscheidung zu treffen. Aber es gibt noch einen weiteren mächtigen Mechanismus, der zusätzlich zu diesem Effekt beiträgt.
Mit der Sogkraft eines schwarzen Loches
Der zweite Gurt, der dich mental immobil macht, ist der Halo-Effekt, der in den letzten Jahren von sich reden gemacht hat. Er schlägt in dieselbe Kerbe, ist aber noch wirksamer als die Sache mit den Kuscheltieren. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, die eigenen Entscheidungen möglichst nicht mehr zu hinterfragen, sondern darum, wie diese Entscheidungen überhaupt zustande kommen.
Halo bedeutet Heiligenschein. Der Begriff wurde von dem Amerikaner Edward Thorndike geprägt, als er sich im Ersten Weltkrieg genauer anschaute, wie Offiziere ihre Soldaten beurteilten. Obwohl in den Beurteilungen die unterschiedlichsten Kriterien abgefragt wurden, von Aussehen und Haltung über Charakter und Intelligenz bis hin zu Treffsicherheit mit der Waffe und Musikalität, fielen die Beurteilungen nicht wie erwartet differenziert aus, sondern sehr einseitig. Es schien kaum Soldaten zu geben, die zwar gute Schützen, aber charakterlich fragwürdig waren, oder intelligente Soldaten, die unordentlich und schlecht geputzte Schuhe hatten. Den Beurteilungen nach waren die Soldaten entweder charakterlich einwandfrei, von hoher Intelligenz, hervorragende Schützen und gute Musiker – oder sie versagten auf ganzer Linie. Thorndike schaute genauer hin und entdeckte, dass es ein hervorstechendes Merkmal gab, das die Offiziere blendete, sodass ihre Urteilskraft, was die anderen Fähigkeiten anging, deutlich litt: Zeigte der Soldat eine gute, militärisch einwandfreie Körperhaltung, so wurden ihm auch alle anderen positiven Eigenschaften zugeschrieben. Einem Soldaten mit mangelhafter Haltung und Körperspannung dagegen trauten sie noch nicht einmal nicht zu, dass er seine Schuhe putzen kann.
Der Halo-Effekt besagt, dass unsere vermeintlich rationalen Meinungen massiv von Störfaktoren beeinflusst werden. Wir sehen die Dinge nicht als das, was sie wirklich sind, sondern nehmen sie immer nur im Kontext wahr. Andere Faktoren, die für unsere Beurteilung einer Sache oder einer Situation eigentlich unerheblich sind, überstrahlen plötzlich unsere Überlegungen und lassen uns zu Schlüssen kommen, die alles andere als rational sind. Wissenschaftler sprechen auch von einer Wahrnehmungsverschiebung oder kognitiven Verzerrung.
Wer gute Croissants macht, macht auch gute Brote.
Was passiert da eigentlich, wenn wir dem Halo-Effekt auf den Leim gehen? In jeder Situation besitzt für dich persönlich ein bestimmtes Argument oder ein bestimmter Faktor unter vielen eine herausragende Bedeutung. Zum Beispiel findest du, dass der Bäcker drei Straßen weiter ganz wunderbar fluffige Croissants im Angebot hat. Dieser Bäcker hat natürlich wie die anderen Bäcker der Stadt auch viele weitere Faktoren aufzuweisen: Du kannst bei ihm einen Kaffee bekommen oder nicht, die Verkäuferin ist nett oder nicht und so weiter. Für dich aber sind die Croissants ausschlaggebend. Bäcker A macht gute Croissants, also findest du Bäcker A gut. Zu Bäcker B, dessen Croissants das spezifische Gewicht von Ziegelsteinen besitzen, wirst du also niemals gehen. Bis hierher ist alles noch rational nachvollziehbar. Der Halo-Effekt sorgt nun dafür, dass du auch die Brötchen und Brote von Bäcker A ganz wunderbar findest. Ganz nach dem Motto: »Wer gute Croissants macht, backt auch gute Brote.« Das ist praktisch, denn es wäre ja auch blöd, jeden
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