Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
Vom Netzwerk:
Tilgung? Kommt oben drauf. Unterhalt des Hauses? Kommt oben drauf. Versicherungen? Kommt oben drauf. Für das gleiche Geld könntest du dir ein wirklich schönes Haus mieten. Und schon sieht es mit dem Glaubenssatz ganz schön mau aus. Es sei denn, du wolltest nicht dein Geld sichern, sondern einfach deine eigenen vier Wände haben, in denen allein du bestimmst über Wandfarbe, Raumaufteilung und Einstellung des Lautstärkereglers der Stereoanlage.
    Wenn du dein Leben selbstbestimmt führen willst, wirst du also nicht darum herumkommen, immer wieder zu entscheiden: Passt dieser Glaubenssatz hier und heute zu mir? Ja oder nein? Und dann handelst du danach – und zwar nicht nach dem allgemeingültigen Glaubenssatz, sondern danach, was du mit ihm vorhast. Denn Glaubenssätze sind Werkzeuge, keine Götzen. Was du im Umgang mit Glaubenssätzen nicht tun solltest: immer Ja sagen. Aber immer Nein sagen ist auch daneben.
Bayrische Nächte
    Wir stehen in der Würzburger WG am Fenster und schauen in den klaren Nachthimmel. Ein paar der Kommilitonen sind schon gegangen. Nur noch der harte Kern sitzt in der kleinen Küche und lässt die Party ausklingen.
    »Sag mal, was ist denn da drüben auf der anderen Straßenseite?«, fragt Fred. Vom unscheinbaren Flachbau gegenüber wummert Musik. Die Fenster sind hell erleuchtet und wenn die Tür aufgeht, wabern Hitzewellen und feuchter Dampf in die kühle Nachtluft.
    »Das ist das AKW«, antworte ich, »die Autonome Kulturwerkstatt Würzburg.«
    »Ey cool! Von denen hab ich schon gehört. Die machen richtig was los, so Veranstaltungen gegen das Establishment. Konzerte und Lesungen und so weiter. Die sind hier in Würzburg echt’n Highlight. Alles andere ist ja gähn-langweilig und total kleinkariert.« Fred redet sich noch ein bisschen in Fahrt, wie provinziell Würzburg ist. Und wie toll er es findet, wenn so eine Einrichtung wie das AKW den hiesigen bourgeoisen Provinzlern wie ein Spleiß im Hintern steckt.
    »Stimmt genau«, sage ich, »da ist immer was los. Und wenn altgediente Startbahn-West-Kämpfer mit Atomkraftwerk-Gegnern und Jusos reden wollen, dann ist dort der richtige Ort dafür. Aber eins kann ich dir sagen: Die da drüben sind noch viel spießiger als alle Kirchenvorsteher und Gemeinderäte zusammen.«
    »Ey komm! Das ist doch wohl nicht dein Ernst!« Fred deutet auf ein paar Leute, die drüben gerade aus der Tür treten. Sie sehen wirklich alles andere als spießig aus – die Zeit der Parkas und AKW-nein-danke-Buttons war gerade vorbei und diese Typen hatten sich viel Mühe gegeben, auf andere Art ihre Unangepasstheit zum Ausdruck zu bringen. Der eine trägt eine Che-Guevara-Mütze, unter der lange Zotteln hervorsprießen, beim anderen fallen sofort der orange-gelbe handgestrickte Pullover und die indischen Ledersandalen ins Auge.
    Spießig; nicht spießig – Fred und ich streiten noch ein bisschen herum, bis es mir zu dumm wird. »Pass auf. Ich geh jetzt da rüber und dann wirst du ja sehen.« Ich stehe auf, gehe zu meinem Kleiderständer, ziehe mir mein einziges Jackett an, leihe mir von Bernhard, dem Banklehrling, seinen Schlips und schon bin ich auf der Treppe nach unten. Meine Kumpel beobachten vom Fenster aus, wie es nun weitergeht.
    Noch bevor ich einen Fuß ins AKW setzen kann, habe ich schon so eine Art Türsteher am Hals. Nur ist der nicht groß und breit, sondern drahtig mit schütterem Zopf.
    »Wo willst denn du hin?«, fragt er unfreundlich und taxiert mich von oben bis unten. »Mit deinem Strick um den Hals kommst du hier nicht rein.«
    »Ich will mich hier mal umschauen. Finde ich interessant, was ihr hier macht«, antworte ich und schaue unauffällig kurz hinter mich hinauf zum Fenster gegenüber, wo meine Freunde alles hautnah mitbekommen.
    Der Typ drückt mich gleich wieder von der Türschwelle nach draußen. »So Typen wie dich können wir hier nicht gebrauchen«, sagt er. »Verschwinde.«
    »Hey, ich denke, hier darf jeder rein. Gehört dir denn der Laden? Wird doch auch von der Stadt finanziert, oder? Wie kommst du also dazu, mir hier den Weg zu verbauen?«
    »Hör zu, Arschloch. Zieh Leine! So Anzugtypen wie du sind hier unerwünscht!«, droht der selbst ernannte Wächter der AKW-Tugenden. Und damit ist für ihn die Sache erledigt. Für mich auch. Ich habe mein Ziel erreicht. Ich drehe mich um, schaue nach oben und mache eine Seht-ihrs-Geste in Richtung meiner Kumpels.
    Auch heute noch finde ich die Gewohnheits-Revoluzzer zum Kotzen. Genauso wie

Weitere Kostenlose Bücher