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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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wegen.«
    »Ich bin oft unterzuckert.«
    »Wir haben es gebaut, dann wohnen wir auch drin.«
    »Es ist zu spät, um noch mit dem Klavierspielen anzufangen.«
    Oft kommen diese Killer-Glaubenssätze auch in Hätte-Form daher:
    »Hätte ich damals Abi gemacht …«
    »Wenn ich mehr Geld hätte …«
    »Wenn ich mehr Zeit hätte …«
    »Wenn ich könnte, wie ich wollte …«
    All dies dient der Selbstbetäubung. Du kannst dir mit dem K.O.-Hammer auf den Kopf hauen oder in diesen Rechtfertigungssätzen versinken – der Effekt ist derselbe. Solche Glaubenssätze verführen dich nur dazu, die Hände in den Schoß zu legen. Sie sind die perfekte Ausrede dafür, um jede Entscheidung einen weiten Boden zu machen und alles so zu lassen, wie es ist. Sobald du anfängst, mit Hilfe dieser Glaubenssätze eine Entschuldigung für dein Handeln – oder besser: dein Nicht-Handeln – zu finden, läuft etwas gewaltig schief. Denn eine Entschuldigung heißt immer auch, dass du Verantwortung von dir schiebst. Unterm Strich kommt immer heraus: »Ich war’s nicht« und: »Ich konnte ja nicht anders«. Stillstand also.
    Merkwürdigerweise gibt es in unserer Gesellschaft die Tendenz, nicht nur für sich selbst, sondern auch für jeden und für alles Mögliche solche Entschuldigungen zu finden.
    Zehn somalische Piraten überfielen im April 2010 das unter deutscher Flagge fahrende Frachtschiff
Taipan
. Weil sich die 13-köpfige Besatzung rechtzeitig in einem Sicherheitsraum verschanzte und von dort aus die Maschinen kontrollierte, konnten die Piraten weder das Schiff steuern noch die Seeleute als Geiseln für ein millionenschweres Lösegeld nehmen. Sie wurden kurze Zeit später durch eine Spezialeinheit festgenommen und an Deutschland ausgeliefert. Angriff auf den Seeverkehr, versuchter erpresserischer Menschenraub, da waren für die Piraten bis zu 15 Jahre Haft drin. Doch das Amtsgericht Hamburg urteilte außergewöhnlich milde: sechs bis sieben Jahre Haft für die Erwachsenen, zwei Jahre Jugendstrafe für die jüngeren Piraten.
    »Diese Menschen hatten schlicht keine andere Wahl.«
    Den Grund für den vergleichsweise glimpflichen Ausgang für die überführten Verbrecher nennt Gabriele Heinecke, eine der zwanzig Anwälte und Anwältinnen, die die zehn Piraten vertraten, in einem Interview mit der politischen Zeitung
Analyse und Kritik
: »Soweit wir wissen, hatten diese Menschen schlicht keine andere Wahl. Sie lebten ein elendiges Leben und wussten nicht, ob sie den nächsten Tag überleben würden oder nicht, ob sie etwas zu essen bekämen oder nicht, wie sie die Kinder durchbringen würden.« Für sie gehören die Piraten zu den »Ärmsten der Armen, die, soweit sie freiwillig auf dem gekaperten Schiff waren, aus völliger Verzweiflung und akuter Not versucht haben, an Geld zu kommen«.
    Mit anderen Worten: Weil ein Großteil der Somalier kein sauberes Wasser, keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung hat, können sie gar nicht anders, als zum Verbrecher zu werden! Die hatten doch gar keine andere Perspektive! Die waren einfach nicht in der Lage, sich zu helfen, ohne andere umzubringen. Pikant ist allerdings, dass der Angeklagte, den Frau Heinecke verteidigte, vier Sprachen spricht, unter anderem sehr gutes Englisch. Er war für das Unternehmen »Frachter kapern« angeheuert worden, um zwischen den Überfallenen, ihrer Reederei und den Piraten zu dolmetschen. Hatte der wirklich keine andere Möglichkeit?
    Sind diejenigen, die sich solche Entschuldigungen einfallen lassen, eigentlich noch dicht? Da steigen gut bewaffnete Menschen in mit Raketenwerfern ausgerüstete Schnellboote, halten anderen Menschen Pistolen an den Bauch und manchmal jagen sie ihnen auch eine Kugel durch den Kopf, erpressen gigantische Lösegelder. Und alles, was eine bestimmte Klientel in den westlichen Ländern dazu sagt, ist: »Die armen Kleinen, die hatten ja nie eine andere Chance!« Das ist haarsträubend. Was signalisieren wir denn der Welt mit dieser Haltung? Macht ruhig weiter mit eurem einträglichen Geschäftsmodell. Wir verstehen euch.
    Stammtischniveau? Nein, bittere Realität: Für alles und jeden wird eine Entschuldigung gefunden, und sei sie noch so sehr an den Haaren herbeigezogen. Jeder Hartz-IV-Empfänger: ein Opfer der Gesellschaft. Jeder 17-Jährige, der eine Frau, die seine Großmutter sein könnte, auf offener Straße umrennt und ihr die Handtasche klaut, »hat eben nie seinen Vater kennen gelernt«. Mit dem Effekt, dass diese Leute erst recht

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