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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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geritzt.
    »Mir blieb gar keine andere Wahl.«
    »Ich hatte ja nie eine Chance.«
    »Das Problem haben wir nur wegen all der Ausländer.«
    »Man muss tolerant sein.«
    »Das darf man denen nicht durchgehen lassen.«
    »Die Gier der Heuschrecken hat alles kaputtgemacht.«
    »Das gibt der Arbeitsmarkt nicht her.«
    »Die Chinesen können das viel billiger produzieren.«
    »Ich bin nicht gut in Mathe.«
    »Ich habe immer doofe Chefs.«
    »Als Mann hat man es schwer, zu bekommen, was man will.«
    »Als Frau hat man es schwer, zu bekommen, was man will.«
    »Mit über vierzig hat man eh keine Chance.«
    »Ohne Studium nimmt einen niemand ernst.«
    »Ich bin kein guter Redner.«
    »Ich kann nicht singen.«
    »Das geht gar nicht.«
    Diese Liste von Glaubenssätzen könnte man schier endlos weiterführen. Egal ob auf privater oder gesellschaftlicher Ebene: Immer hat man einen Schuldigen oder einen Vorwand, und immer kann man sagen: »Ich war’s nicht! Ich kann nichts dafür!«
    Ich war blind vor Gier und bin deshalb mit meinem Geld bis nach Island gegangen.
    Man kann es auch so sagen: Glaubenssätze sind allgemein anerkannte Ausreden, die sich beim Einzelnen versteinert haben. Dahinter stehen also ganz individuelle Mechanismen, die dem Einzelnen seine Welt zurechtrücken. Nicht zugeben müssen: »Ich war blind vor Gier, ich wollte unbedingt ein paar Promille mehr Zins einsacken und bin deshalb mit meinem Geld bis nach Island gelaufen« – sondern lieber jammern: »Die Banken haben mich falsch beraten.« Diese Sicht macht die Dinge erst mal viel, viel einfacher.
    Viele Glaubenssätze können auf eine lange Tradition zurückblicken. Über Generationen hinweg hat sich eine unübersehbare Anzahl von ihnen in unseren Köpfen festgesetzt und versteinerte im Lauf der Zeit zu unumstößlichen Dogmen. »Such dir ’ne Festanstellung, dann hast du was Sicheres« oder »Freche Kinder kriegen nichts«. Und mit einer Gänsehaut fällt mir das Lied aus der DDR ein: »Die Partei, die Partei, die hat immer recht!« Aber sind das denn Ausreden? Ja. Es sind die perfekten Ausreden dafür, nicht nachdenken zu müssen. Weder darüber, wie deine berufliche Laufbahn überhaupt aussehen soll. Noch darüber, ob ein Kind, das aufbegehrt, vielleicht recht haben könnte. Da kommen solche Glaubenssätze gerade recht. Die Alternative ist auch viel anstrengender: sich mit einem aufsässigen Kind auseinanderzusetzen und es ernst zu nehmen, statt es einfach nur abzuwatschen.
    Jede Kultur hat ihre eigene Auswahl an Glaubenssätzen, über deren Wert bzw. Wahrheitsgehalt sich streiten lässt. Wenn wir sagen »Der frühe Vogel fängt den Wurm«, ist das ebenso kulturbestimmend wie der Spruch von Inuit-Eltern: »Geh nie ohne Schneeschuhe aus dem Iglu.« Die wenigen verbliebenen Kannibalen in Papua-Neuguinea sehen es vielleicht als gesetzt an, dass niederländische Missionare sich besser für rituelle Tötungen eignen als die der Hexerei überführten Mitglieder des eigenen Stammes – reine Ansichtssache. Und wenn das Ziel ganzer Nomadenstämme der Sahelzone ist, möglichst große Viehherden zu besitzen, auch wenn so aus Halbwüsten Wüsten werden, dann ist das eben deren Glaubenssatz. Nicht unbedingt unserer. Mit großer Beherztheit und fast schon bewundernswerter Selbstsicherheit versuchen wir, anderen Kulturen klarzumachen, wie blöd uns manche ihrer Glaubenssätze vorkommen. Rad der Wiedergeburt und mieses Karma: »Nein, Rajid, dieser Behinderte ist nicht selbst daran schuld, dass er ohne Beine zur Welt gekommen ist. Sei also ein bisschen netter zu ihm!« Dschihad als Heiliger Krieg: »Nein, Ahmed, du kommst nicht ins Paradies, wo 72 Jungfrauen auf dich warten, wenn du diese Bombe zündest.«
    Wer sagt denn, dass wir mit unseren Glaubenssätzen besser fahren? Es wäre ziemlich arrogant zu behaupten, dass gerade wir die Weisheit mit Löffeln gegessen haben, oder? Also über Bord mit den Glaubenssätzen? Weg mit »Man ist pünktlich« und »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«? Oder in der Wirtschaft: »Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.« Und vonseiten der Gewerkschaft: »Egal, was ist, wir brauchen 5 Prozent mehr Lohn.«
    Nein, denn fest steht auch, dass in vielen Glaubenssätzen die Erfahrungen von Generationen kondensiert sind. Als Lebensweisheiten sind sie ein Schatz an gesundem Menschenverstand, passgenau auf die jeweilige Gesellschaft zugeschnitten. »Spare in der Zeit, dann hast du in der Not« – was soll daran falsch sein? Ich kann mir

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