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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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seinen Sinn. Den langjährigen Lebensgefährten fallen zu lassen, weil er den Hochzeitstag vergessen hat oder die Kartoffeln angebrannt sind, wäre vollkommen übertrieben. Oder den gerade angetretenen Job zu kündigen wegen einer kleinen Auseinandersetzung mit dem Chef. Manchmal ist es richtig, diszipliniert auszuharren. Manchmal ist aber auch der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von alten Zielen und Strategien zu trennen.
    Es ist nun einmal so, dass in unserer Kultur eine starre, zielorientierte Verhaltensweise stark verankert ist. Mit einem festen Ziel vor Augen leisten wir Großartiges. Dann räumen wir wie ein Hulk alles, was uns im Weg steht, beiseite und beißen uns bis ins Ziel durch. Das macht uns so leicht niemand nach. Mit dieser Einstellung ist es für uns allerdings sehr anstrengend, unser Verhalten flexibel an einer veränderten aktuellen Situation auszurichten. Wenn uns das Ziel wegbricht, gehen wir in die Knie. Deshalb halten wir lieber am Ziel fest, als uns blutige Schienbeine zu holen.
    Wie ein Esel zwischen den Heuhaufen
    In der Wirtschaft ist längst bekannt, welche Probleme es gibt, wenn Führungskräfte aus anderen Kulturen auf hiesige Mitarbeiter treffen – und umgekehrt. Um im Jargon der international agierenden Personaler zu bleiben: Wir Westler sind nicht besonders ambiguitätstolerant. Ambiguität ist Mehrdeutigkeit. Und wenn ein Großteil der westlich geprägten Menschen eine Ambiguitäts-Aversion zeigt, heißt das nichts anderes, als dass wir uns schwer damit tun, in komplexen, sich ändernden Situationen zurechtzukommen. Haben wir statt einem Heuhaufen plötzlich zwei Heuhaufen, stehen wir wie ein Esel dazwischen und verhungern eher, als dass wir uns entscheiden. Chinesen und Koreaner zum Beispiel sind da deutlich geschmeidiger.
    Das ist der Grund, warum sich gerade in unseren Breiten viele Menschen scheuen, einen Neuanfang zu wagen, auch wenn das Ziel, das sie bislang verfolgt haben, sich als undurchführbar oder unsinnig erweist. Es ist eine Tatsache, dass sie sich lieber der Illusion hingeben, sie seien noch auf dem richtigen Weg, als kurz stehenzubleiben, ihren Kurs zu überprüfen und eventuell umzudrehen.
    Dieses geradezu selbstzerstörerische Verhalten hat nicht nur im persönlichen Bereich verheerende Auswirkungen – auch auf gesellschaftlicher Ebene führt diese besondere Art der Nostalgie geradewegs ins Desaster. Denn in den Leitungspositionen sitzen ja genau die Menschen, die so ticken.
Augen zu und durch
    Nachtschicht. Die Ingenieure sitzen vor ihrem Schaltpult. Ein Stresstest soll die Funktionstüchtigkeit der Anlage überprüfen. Liefern die Kraftwerksturbinen bei einem kompletten Stromausfall noch genügend Strom für die Notkühlung? Ein Bedienungsfehler lässt die Leistung unerwartet stark abfallen. Die Mitarbeiter überlegen, ob sie den Test lieber abbrechen. Doch der Leitende Ingenieur will den Plan erfüllen und befiehlt: »Noch ein, zwei Minuten, und alles ist vorbei! Etwas beweglicher, meine Herren!« Es ist der 26. April 1986 und wir befinden uns in Tschernobyl …
    Na ja, das waren ja schließlich auch Mitglieder eines totalitären Systems, das sich große Mühe gemacht hat, seine Bürger so zu erziehen, dass sie sklavisch die Fünfjahrespläne einhalten. Koste es, was es wolle. – Könnte man meinen. Wäre aber falsch gemeint. Das sture Festhalten an Althergebrachtem hat auch ein paar Längengrade weiter westlich schon so manchen Untergang eingeläutet. Den von Kodak zum Beispiel.
    In der Film- und Fotobranche kam niemand an dem Namen Kodak vorbei; er war fast schon ein Synonym für Fotopapiere und Filme für Fotoapparate und Super-8-Kameras. Schon um 1900 herum hatte das Unternehmen die erste massentaugliche Kamera auf den Markt gebracht. Seitdem lief die Konkurrenz nur noch hinterher. Der Rang als Weltmarktführer war auf Dauer gebucht.
    1976 legte Steven Sasson seinem Chef einen vier Kilo schweren Koffer auf den Schreibtisch. Das war die erste elektronische Kamera der Welt; sie fotografierte schwarz-weiß, mit 0,1 Megapixeln. Eine Eigenentwicklung von Kodak. Aber irgendwo in der Entscheidungskette vom genialen Mitarbeiter in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bis zum CEO ging die neue Erfindung verloren. Im Unternehmen schien kein Platz zu sein für so neumodischen Schnickschnack. Das Geschäft mit den Negativfilmen und dem Fotopapier brummte, mit einer Digitalkamera würden sie sich selbst kannibalisieren. Die Befürchtung: Wer wird dann noch die

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