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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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du immer alles verloren haben.
    Wer nicht loslassen will, hat nicht verstanden, dass Verluste zum Leben gehören. Selbst wenn du im Leben immer auf der Sonnenseite unterwegs bist, wirst du von Verlusten nicht verschont bleiben. Was du glaubst dein Eigen nennen zu können, geht verloren – ganz gleich, ob es sich um etwas Materielles oder um einen Menschen handelt. Auch wenn es dir vergönnt ist, deinen letzten Atemzug im Kreise deiner Lieben zu tun, wirst du am Ende immer alles verloren haben. Das ist so. Akzeptiere es.
    Schon als Kind musst du dich damit abfinden. Deine Mutter wäscht deine Hose, in deren Tasche noch das seltene Pokémon-Sammelbildchen steckte, um das dich alle in deiner Klasse beneidet haben. Du wächst aus deinen Lieblingsturnschuhen heraus. Eines ist sicher: Du wirst jedes Paar, das dir zu klein geworden ist, nie im Leben wieder anziehen können, ohne dir die Zehen zu verstauchen. So geht es dein Leben lang weiter. Das Auto, das dich seit deinem 19. Lebensjahr treu durch Studium und erste Berufsjahre begleitet hat, wandert unwiderruflich in die Schrottpresse. Du verlierst geliebte Menschen. Auf einmal trennen euch 200 oder 20 000 Kilometer. Oder Zorn und Wut.
    Im schlimmsten Fall trennt euch der Tod.
    Wenn es daran geht, sich von Dingen, Beziehungen, Lebensabschnitten verabschieden zu müssen, gibt es keine Wahl. Es passiert. Das Einzige, was du tun kannst, ist, den Verlust hinzunehmen. Loszulassen. Abzuschließen.
    Wenn das, was dir abhandengekommen ist, dir nichts bedeutet hat, ist das leicht. Manchmal bist du sogar froh, etwas loszuwerden. Du hast dich über Jahre in deinem Job gequält und jetzt hast du Aussicht auf einen neuen? Dann gibt es nichts, was dich noch hält. Es wird dich auch nicht in deinen Grundfesten erschüttern, wenn die selbst getöpferte Vase, die du auf dem Kirchenbasar gewonnen hast, in tausend Scherben zerspringt. Die hättest du schon längst entsorgen sollen!
    Wenn dir aber etwas am Herzen liegt, dann ist Loslassen alles andere als einfach. Loslassen müssen ist immer mit Trauer verbunden. Trauer tut weh. Wer trauert, fühlt sich hilflos und einsam, verspürt Wut und Angst. Mit etwas abzuschließen ist also immer auch eine Zeit des Schmerzes. Kann dich irgendetwas davor bewahren, dies durchmachen zu müssen? Nein. Ohne Schmerz kein Loslassen.
    Es geht ja auch nicht nur um dich. Alles, was du verlierst, hat eine angemessene Zeit der Traurigkeit verdient. Das ist eine Sache des Respekts. Es liegt ein tiefer Sinn darin, dass wir einen Gestorbenen nicht sang- und klanglos unter die Erde bringen. Nicht Deckel zu und fertig. Wir versammeln uns im Haus des Toten, an seinem Grab, trauern gemeinsam, reden über ihn, erinnern uns an ihn. So wird das Leben des Toten gewürdigt. Eine Beerdigung ohne »Weißt du noch …?« ist keine gute Beerdigung. Der Grund, warum das Ganze Trauer-Feier heißt: Wir feiern die Zäsur, die unser Leben gezeichnet hat. Wenn das hinter uns liegt, können wir uns Neuem zuwenden. Die Geste, ein Schäufelchen Erde auf den Sarg zu werfen, ist ein erstes Zeichen dafür, dass wir irgendwann bereit sein werden, den Schmerz zu begraben.
    Erst würdigen. Trauern. Dann loslassen können. So geht das.
    Bei großen und bei kleinen Verlusten ist Trauer ein gutes und wirksames Bewältigungsmuster. Aber sie ist nicht die Lösung des Problems. Es fehlt noch etwas, um am Ende auch wirklich loslassen zu können.
Ganz in Schwarz
    Ich wohne in Bayern in der Bodenseeregion. Eine Gegend, in der Traditionen zum Alltag der meisten Menschen dazugehören. Zum Beispiel das Trauerjahr. Die Witwe trägt als Zeichen ihrer Trauer Schwarz. Das hat zwei Gründe. Der erste ist klar: Es ist das Zeichen dafür, dass sie eine schlimme Zeit durchmacht. Alle sind rücksichtsvoll mit ihr, bieten Unterstützung an. Es gibt aber noch einen zweiten Grund. Der wird erst sichtbar, wenn das Trauerjahr vorbei ist. Dann werden die schwarzen Klamotten in der Truhe weggeschlossen. Damit ist die Erlaubnis und die Aufforderung gegeben, das Leben wieder aufzunehmen. Jetzt kommen die Blümchenkleider wieder zum Vorschein. So zeigt der Brauch, Trauerkleidung zu tragen, zwei Veränderungen an: Dass einer trauert. Und dass er irgendwann damit durch ist.
    Als ihr geliebter Gemahl Prinz Albert starb, war Queen Victoria 42 Jahre alt. Den Rest ihres Lebens lief sie in Schwarz herum. Man sagt, sie trauerte bis zum letzten Tag ihres Lebens um ihre große Liebe. Wenn es so war, tut sie mir leid. Denn Trauer darf

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