Huebsch in alle Ewigkeit Roman
ich eine dieser seelenlosen Kreaturen werde, die keine Freude mehr an ihrer Existenz haben. So wie Gertrud. Dass ich jetzt und hier neben ihr sitze, ist doch wohl ein Zeichen. Bin ich schon so abgestumpft, dass ich mich freiwillig in das Heer der spaßbefreiten Karteileichen einreihe? Komm, Leni, nach zehn Tagen Arbeit kann das noch nicht sein, beruhige ich mich. Aber Vivi und ich müssen endlich wieder einen Treffer an der Börse landen.
Apropos Vivian. Wo bleibt sie nur? Ich werde unruhig. Das ist nicht gut, dass sie nicht kommt, das ist gar nicht gut. Ich fange an mit dem Fuß zu wippen.
Gertrud wendet ihren bleichen Kopf ruckartig in meine Richtung. »Du wippst mit dem Fuß«, sagt sie.
»Was du nicht sagst«, gebe ich gereizt zurück.
»Ich habe noch einen Schluck Hirschblut im Glas. Den trinke ich jetzt. Dazu hebe ich das Glas an und …«
Ich halte es nicht mehr aus und springe auf. Als ich durch die Glastür renne, kommt Vivian mir entgegen. »Vivi«, rufe ich, »wo warst du denn?«
»Ich bin aufgeflogen«, sagt sie und erzählt mir, was passiert ist. »Ich sitze wie immer an meinem Schreibtisch vor Uteschnutes Büro, da kommt der Kloarsch wie von
der Tarantel gestochen reingestürmt. Du hattest ihn mir ja beschrieben, deswegen habe ich ihn sofort erkannt. Er sieht wirklich widerlich aus. Wie eine Albinokröte.«
»Vivi«, drängele ich, »was ist dann passiert?«
Also, es war so: Der Kowarsch stürmte an Vivian vorbei in Tures Büro. Da die Tür offen blieb, konnte Vivian alles mithören. Kowarsch knallte die Akte von Otto Birnbach /Jochen Herbst (so heißt der zickige Strichervampir) auf Tures Schreibtisch.
»Was ist das?«, zischte Kowarsch mit seiner Fistelstimme.
»Was ist was?«, fragte Ture kalt.
»Diese Rekrutierungsgenehmigung hätte nie erteilt werden dürfen.«
»Welche Rekrutierungsgenehmigung?« Ture griff sich die Akte.
Vivian saß draußen und knetete ihre Hände.
»Die für Otto Birnbach«, fauchte Kowarsch. Obwohl er nicht so laut sprach, klang es sehr bedrohlich. »Er hat schon zwanzig Genehmigungen bekommen und damit seine Quote für alle Zeiten erfüllt.«
Vivian erschrak fürchterlich. Das hätte Lulu aber wirklich erwähnen können! So ein Mist. Das würde nicht gut ausgehen!
»Ich muss Sie doch wohl nicht daran erinnern, dass niemand, ich wiederhole, absolut niemand, außer der Königin selbstverständlich, mehr als zwanzig Vampire anwerben darf«, sagte Kowarsch. »Also frage ich Sie von Kollege zu Kollege: Haben Sie diese Genehmigung unterschrieben?«
Mit Kowarschs Stimme hätte man ein Haar spalten können, so schneidend war sie. Dann Stille. Vivian überlegte, ob sie in Tures Büro gehen und irgendeine Geschichte erzählen sollte, aber ihr fiel auf die Schnelle nichts ein. Jetzt würde Ture sehen, dass es natürlich nicht seine Unterschrift auf dem Formular war. Und dann wäre der Höllenfürst vielleicht ein klitzekleines bisschen aufgebracht. Und obwohl Vivian wirklich kein Angsthase war, wollte sie das nicht erleben. Es wäre vielleicht besser, wenn sie sich verdrückte. Abhaute. Irgendwo untertauchte.
Gerade stand sie auf, nahm sich ein paar Akten zur Tarnung und wollte zur Tür raus, da hörte sie Ture knurren: »Na, klar habe ich das unterschrieben.« Vivian blieb wie angewurzelt stehen.
Kowarsch schnaufte perplex. »Aber seit wann genehmigen Sie die Rekrutierungen?«
»Das war eine Ausnahme«, sagte Ture eisig. »Sie sehen doch, Eilfall mit Sondergenehmigung.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?« Kowarschs Stimme überschlug sich vor Wut.
»Geheimprojekt«, kanzelte Ture ihn ab. Dann stand er auf, warf Vivian einen scharfen Blick aus seinen Regenpfützenaugen zu, und schloss die Tür.
»Tja«, schließt Vivian ihre Schilderung. »Was sie dann besprochen haben, weiß ich nicht. Jedenfalls, als Kowarsch rauskam, hatte er wieder gute Laune.«
»Irgendwie ist es noch beunruhigender, dass er nichts gesagt hat, oder?«, sage ich. »Ich meine, er ist der Höllenfürst. Er könnte dich vierteilen lassen, wenn er Lust dazu hätte.«
»Ich weiß«, sagt Vivian, »aber vielleicht denkt er wirklich, dass er es unterschrieben hat. Immerhin setzt er jeden Tag auf Dutzende Formulare seinen Otto.« Trotz ihrer hoffnungsvollen Worte sieht sie mitgenommen aus.
»Ja, er ahnt bestimmt nichts«, unterstütze ich sie.
Gertrud kommt vorbei und murmelt vor sich hin: »Ich gehe diesen Flur entlang. Die Pause ist gleich zu Ende. Ich muss an meinen Platz zurück
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